225 neue Fälle mit homophobem und trans*phobem Hintergrund in Berlin erfasst
Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie und Trans*phobie 2015 stellt MANEO seinen Report für 2014 vor. MANEO wertete 225 Fälle mit homophoben und trans*phoben Hintergrund für Berlin aus. Die Anzahl der Fälle liegt weiter auf hohem Niveau. Die Nachfrage nach Beratungen ist hoch. Der Bericht enthält auch wieder Beiträge und Zahlen der Berliner Polizei und der Berliner Staatsanwaltschaft.
Täglich wenden sich betroffene Menschen an MANEO, rufen an oder suchen die Beratungsstelle am Nollendorfplatz persönlich auf. Das Telefon ist täglich zwischen 17-19 Uhr besetzt, auch am Wochenende und an Feiertagen. Die persönliche Beratung wird montags bis freitags angeboten. Es sind in erster Linie schwule Männer, die Hilfe und Beratung nach einer Gewaltstraftat suchen. Es sind Betroffene unterschiedlicher kultureller Herkunft und unterschiedlichen Alters. Sie haben Fragen bezüglich einer Strafanzeige, beispielsweise ob die Polizistin oder der Polizist ihr Anliegen auch ernst nimmt. Sie habe Angst und Sorgen vor einem Outing gegenüber ihrer Familie oder am Arbeitsplatz. Sie sind zutiefst empört und verletzt, weil sie aufgrund ihrer Identität beleidigt oder körperlich Angegriffen wurden. Und sie haben Sorgen, dass sich die Täter bald am nächsten Opfer vergreifen könnten.
MANEO ist das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin und täglich für die Opferhilfe und Gewaltprävention im Dienst. MANEO will Betroffene ermutigen, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen, wirbt gleichzeitig für gesellschaftliche Toleranz und Vielfalt, stellt sich gegen Homophobie, Trans*phobie, gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. „Das funktioniert jedoch nur, wenn vorurteilsmotivierte Hassgewalt ernst genommen wird, die betroffenen Menschen in ihren Anliegen und mit ihren Sorgen angenommen werden“, so Bastian Finke, seit 25 Jahren Leiter von MANEO.
MANEO feiert in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum. Es ist deutschlandweit das älteste, bekannteste und auch bedeutendste Anti-Gewalt-Projekt seiner Art. „In den vergangenen 25 Jahren haben wir gut 15.000 Hinweise auf Gewaltstraftaten erhalten, fast ebenso viele Menschen wurden von uns beraten“, so Bastian Finke. „Jeder, der zu uns kommt, will in seinem besonderen Anliegen verstanden werden. Und es sind viele unterschiedliche Menschen, die Hilfe suchen. Unser Ziel ist es, jedem einzelnen von ihnen zu helfen, auch wenn die tägliche Arbeitsbelastung für alle unsere Mitarbeiter sehr hoch ist“. Derzeit sind in der telefonischen und persönlichen Beratung zwei geschulte hauptamtliche und zehn ehrenamtliche Mitarbeiter tätig. Etwa 60 weitere ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unterstützten andere Arbeitsbereiche von MANEO, beispielsweise die Vorort- und Aufklärungsarbeit, die Öffentlichkeitsarbeit, die Netzwerkarbeit und die Ressourcensicherung.
Vorfälle sichtbar machen
2014 wertete MANEO 225 Fälle mit homophobem und trans*phobem Hintergrund aus.
„Nur die Sichtbarkeit homophober und trans*phober Fälle von Diskriminierung, Beleidigungen und Übergriffe trägt dazu bei, dass Homophobie und Trans*phobie als gesamtgesellschaftliche Herausforderung ernstgenommen und angenommen wird“, so Bastian Finke, Leiter von MANEO. „Die Fallzahlen liegen weiter auf gleichbleibend hohem Niveau, auch wenn wir im Jahresvergleich durchaus Schwankungen haben. Wir können keinen Rückgang der Hinweise erkennen, weder eine Zunahme noch eine Abnahme homophober oder trans*phober Übergriffe in Berlin. Allein die Anzahl der Hinweise, die wir neben den ausgewerteten Fälle erhalten haben, die für uns jedoch zu unkonkret waren, als dass wir diese auswerten konnten, zeigt, dass weit mehr passiert ist. Wir werden uns mit unseren knappen Ressourcen weiter darum bemühen, Übergriffe zu dokumentieren und aus dem Dunkelfeld herauszuholen“, so Bastian Finke, Leiter von MANEO. Das Dunkelfeld nicht gemeldeter Straftaten wird auf bis zu 80-90% weiter geschätzt.
Ergebnis des MANEO-Reports 2014
Im Jahr 2014 nahm MANEO 474 neue Fälle und Hinweise entgegen (2013: 500; 2012: 474). Davon boten 295 Fälle genügend Anhaltspunkte für eine Auswertung (2013: 353; 2012: 294). 225 Fälle, die sich auf Berlin bezogen, hatten einen homophoben und trans*phoben Hintergrund (2013: 259; 2012: 202). 16 Fälle richteten sich gegen die Gruppe der LSBT* allgemein, 179 Fälle gegen Schwule und männliche Bisexuelle, 9 Fälle gegen Lesben und 21 Fälle gegen Trans*-Personen. 43 Fälle zum Nachteil von LSBT*-Personen mit Tatort Berlin zeigten keinen homophoben oder trans*phoben Hintergrund, und 27 Fälle lagen außerhalb Berlins. MANEO hat in seinem Jahresbericht 33 Fallbeispiele aufgelistet, die die Breite der gemeldeten Fälle aufzeigt.
Die dominierenden Deliktformen bei schwulenfeindlichen/ homophoben Gewalttaten waren:
– einfache Beleidigungen: 28%
– einfache und gefährliche Körperverletzungen: 24%
– Raubstraftaten: 23%
– Nötigungen und Bedrohungen: 15%
Die Bezirke (alte Bezirke) mit den häufigsten Meldungen waren:
– Schöneberg: 44%
– Tiergarten: 8%
– Mitte: 8%
– Kreuzberg: 7%
– Neukölln: 7%
Tatorte waren überwiegend:
– Allgemeine Öffentlichkeit: 50%
o das öffentliche Straßenland: 41%
(davon ereigneten sich 9% unmittelbar vor Lokalen, die speziell schwules und LSBT*-Publikum haben);
o Öffentliche Verkehrsmittel: 9%
– Internet: 6%
– Wohnungen und unmittelbares Wohnumfeld: 14%
– Hotels und Pensionen: 3%
– Cruisingorte, beispielsweise Parkanlagen und Waldgebiete: 4%
Die hohe Anzahl von Vorfällen in Schöneberg bzw. im Schöneberger Regenbogenkiez hatte Anfang 2013 zu einer Intensivierung der Gespräche zwischen MANEO und der Polizei geführt, die zu verstärkten und anhaltenden polizeilichen und kriminalpräventiven Maßnahmen in der Region führte.
Notwendige Schritte
Die hohe Nachfrage nach Beratung stützt weiter unsere Forderung nach Verstärkungen unserer Opferhilfearbeit. Mit einer vorurteilsmotivierten Gewalterfahrung werden nicht selten bereits zuvor erlebte Diskriminierung und Ausgrenzungserfahrungen erneut durchlebt. Alte Wunden, die wenig Versorgung erfahren haben, drohen erneut aufzubrechen. Unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*personen (LSBT*) ist nach wie vor Angst, Isolation und Diskriminierung weit verbreitet, wie die letzte große Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) unter LSBT* in Europa gezeigt hatte. [1] Eben auch junge Menschen sind in unserer Gesellschaft weiterhin mit vorurteilsmotivierten Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen konfrontiert. Viele Betroffene wünschen sich mehr Begleitung und Unterstützung als ein oder zwei Gespräche führen. Unser Wunsch ist es, mehr auf die Bedürfnisse von Betroffenen eingehen zu können.
Das Zusammenwirken zwischen qualifizierter und professioneller Opferhilfearbeit einerseits und der Strafverfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden andererseits muss weiter optimiert werden. Berlin ist das einzige Bundesland, das sich mit LSBT*-Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht nur Betroffenen, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihrer eigenen Behörden für Aufklärung und Schulung anbietet. Schulung ist vor allem deshalb erforderlich, weil nicht nur Betroffene den Weg nicht zur Anzeige finden, sondern der Erfolg eines Strafverfahrens auch von der Qualität der Ermittlungen und der Beweismittelsicherung abhängen, damit eine vorurteilsmotivierte Straftat nachgewiesen werden kann. Ziel muss es sein, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Strafverfolgung weiter im Umgang mit dem Thema vorurteilsmotivierter Gewalt zu sensibilisieren. Außerdem muss nach einer Gewaltstraftat darauf hingewirkt werden, dass LSBT* auf schnellem Wege Hilfe und Unterstützung erhalten. Immer wieder berichten uns schwule Männer, dass sie nach erstatteter Strafanzeige nicht auf MANEO als qualifizierte und professionelle Opferhilfe hingewiesen wurden. Sowohl vor diesem Hintergrund als auch aufgrund der Tatsache, dass jedes Jahr Tausende von Menschen neu nach Berlin ziehen, ebenso jedes Jahr Millionen von Touristen Berlin besuchen, müssen nicht nur wir regelmäßig auf unsere Angebote hinweisen. Auch die Polizei und Staatsanwaltschaft ist ihrerseits aufgerufen, den Betroffenen homophober Straftaten den Zugang zu dem spezialisierten Hilfsangeboten von MANEO zu erleichtern.
Solidarität und Vernetzung
Mit seinem ‚Berliner Toleranzbündnis‘ sucht MANEO die gesellschaftliche Vernetzung im Bemühen, Diskriminierung und Gewalt gegen LSBT* zu überwinden. Deshalb hat MANEO 2009 das ‚Berliner Toleranzbündnis‘ gegründet. Dem Bündnis haben sich 140 Unternehmen und Institutionen angeschlossen – und es wächst weiter (siehe: www.berliner-toleranzbuendnis.de ). Zu den Mitgliedern zählen beispielsweise Hotels, Clubs, die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), Cine Plus, die Yorck-Kinogruppe, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, die Polizei Berlin, Berlin Tourismus, Friedrichstadt-Palast, Komische Oper, Schaubühne am Lehniner Platz, Deutsche Oper Berlin, Hertha BSC und die DEHOGA-Berlin.
Das Bündnis spiegelt ein breites gesellschaftliches Spektrum wider. Betont wird das Gemeinsame und Verbindende, die Förderung gesellschaftlicher Toleranz und Vielfalt, das entschlossene Eintreten gegen Homophobie und Hassgewalt, gegen jede Form vorurteilsmotivierter gruppenbezogener Gewalt – dies mit vielfältigen Aktionen und Initiativen.
Zu diesen zählt die mit großer Aufmerksamkeit begleitete und gewürdigte Kuppelbeleuchtung des U-Bahnhofes Nollendorfplatz in regenbogenfarbenem Licht, die seit Ende 2014 für die nächsten vier Jahre dauerhaft leuchten wird. Hierzu zählt die jährlich stattfindende Kampagne „Kiss Kiss Berlin“, die zwischen dem Internationalen Tag gegen Rassismus (21.03.) und dem Internationalen Tag gegen Homophobie und Trans*phobie (17.05.) stattfindet. In diesen etwa acht Wochen hatten wir gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern mehr als 30 Aktionen in Berlin durchgeführt, u.a. 13 „Kiss Kiss Berlin – Regenbogenkuchen“-Anschnitte an repräsentativen Orten und 12 Kiss Kiss Berlin Benefiz-Parties.
Fallbeispiele aus dem MANEO-Report 2014
Steglitz, 27.01.2014, 22:30 Uhr: Beleidigung und Körperverletzung in S-Bahn
Ein 57 Jahre alter Betroffener wurde gegen 22:30 Uhr in der S-Bahn der Linie 1, die von Babelsberg Richtung Steglitz fuhr, von einem 25-30 Jahre alten Mann, der alkoholisiert war, homophob beleidigt. Weil dieser darauf nicht reagierte, versuchte der Täter den Betroffenen dadurch weiter zu provozieren, indem er ihm auf die Füße trat. Als sich der Betroffene beschwerte, habe der Täter versucht, ihm Bier über den Kopf auszugießen. Dem Betroffenen, der sich daraufhin wehrte, habe der Täter anschließend ins Gesicht geschlagen. Der Betroffene stieg auf dem S-Bahnhof Steglitz aus, woraufhin ihm der Täter noch die Bierflasche hinterher warf.
Der Betroffene erstattete wenig später Anzeige.
Tiergarten, 30.04.2014, 22:40 Uhr: Beleidigung, Bedrohung und gefährliche Körperverletzung gegen ein schwules Paar
„Nachdem in der vergangenen Nacht zwei Männer in Moabit beleidigt, mit Flaschen beworfen und mit einem Messer bedroht wurden, haben alarmierte Polizisten einen Mann festgenommen. Gegen 22:40 Uhr liefen die 23 und 28 Jahre alten Männer die Beusselstraße entlang, als sie aus einer Personengruppe heraus homophob beleidigt und mit Flaschen beworfen wurden. Die Flaschen verfehlten die beiden. Sie wurden aber von den Personen verfolgt und fortwährend beleidigt. An der Kreuzung Beusselstraße/Alt-Moabit packte einer aus der Gruppe den 28-Jährigen am Kragen und trat mehrfach gegen dessen Bein. Währen dieser sich losreißen und wegrennen konnte, wurde sein Begleiter nun Ziel weiterer Tritte und Schläge. Hierbei ergriff einer der Täter den 23-Jährigen am Arm, hielt ihm ein Messer an den Hals und schlug gemeinsam mit den anderen auf den mittlerweile am Boden Liegenden ein. Die Angreifer ließen von ihrem Opfer ab, als der 28-jährige die Polizei alarmierte. Sie entfernten sich in Richtung Turmstraße.“
Quelle: Pressemeldung der Polizei Berlin vom 30.04.2014.
Kreuzberg, 20.07.2014, 21:00 Uhr: Lesbenfeindliche Beleidigung in Bistro
Gegen 21:00 Uhr war eine 32-jährige Frau gemeinsam mit ihrer Freundin in ein Bistro unweit des Kottbusser Tors gegangen und hatte dort etwas zu Essen bestellt. Sie saß auf einer Bank und wartete auf das Essen, als sich ein Mann neben sie auf ihre Bank drängte. Als sie den Mann bat, sich umzusetzen, begann dieser, sexistische Bemerkungen zu machen und pöbelte schließlich laut „Rutsch Deinen Arsch zur Seite“ und „Scheiß Lesben“. Der Betreiber des Bistros, den die Betroffene daraufhin angesprochen und um Hilfe gebeten hatte, besänftigte den Pöbler zwar, unterstützte die Frauen sonst aber nicht.
Die Betroffene sah von einer Anzeige ab, da sie den Vorfall für „nicht bedeutsam genug“ hielt.
Der vollständige MANEO-Report 2014 ist zu finden unter: http://www.maneo.de/fileadmin/user_upload/dateien/dokumentationen/MANEO-Report_2015.pdf
(Quelle: maneo.de, 07.05.2015)