Wir dokumentieren die „LSVD-Perspektive 2020“, die am Wochenende in Berlin auf dem 27. Verbandstag des Lesben- und Schwulenverbands beschlossen wurde.
Der Verbandstag des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) am Samstag und Sonntag war kein gewöhnlicher: Deutschlands größte „Homo-Lobby“ feierte in Berlin mit prominenten Gästen ihren 25. Geburtstag. Der heute über 4.000 Mitglieder zählende LSVD ging aus dem Schwulenverband in der DDR (SVD) hervor, der am 18. Februar 1990 im „Kulturhaus der Nationalen Front“ in Leipzig gegründet worden war.
Während Bundespräsident Joachim Gauck zumindest ein schriftliches Grußwort schickte (queer.de berichtete), schauten u.a. die beiden stellvertretenden Bundestagspräsidentinnen Petra Pau (Linke) und Claudia Roth (Grüne) sowie Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) persönlich beim Verbandstag vorbei und spendeten warme Worte. „Es gibt wohl kaum ein Brett, das so hart war wie die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben. Und noch immer ist es ziemlich hart“, meinte etwa Maas in seinem Grußwort an die LSVD-Mitglieder.
Dass die Aktivistinn und Aktivisten auch inhaltlich gearbeitet haben, zeigt die beschlossene „LSVD-Perspektive 2020“. Den ehrgeizigen Plan des Verbands für die kommenden fünf Jahre wollen wir im Folgenden dokumentieren. (cw)
I. Was wir in den nächsten 5 Jahren alles durchsetzen wollen
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Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) will sein volles Programm umsetzen: Gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt in allen Lebensbereichen. Alle Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, trans- und intersexuelle Menschen (LSBTI) sollen ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes Leben in einer vielfältigen, freien, offenen und demokratischen Gesellschaft führen können. Auf den Weg dorthin nimmt sich der LSVD für die nächsten fünf Jahre insbesondere fünf Ziele vor:
Den Wert von Vielfalt vermitteln, Hass und Ressentiment nachhaltig zurückdrängen
Homophobie und Transphobie verletzen Menschen in ihrer Würde. Wir wollen die Sensibilität in der Gesellschaft dafür schärfen, dass menschenfeindliche Parolen und Aktionen Wunden schlagen: bei den Menschen, die als Zielobjekte für Hass und Herabwürdigung ins Visier genommen werden, und im Zusammenleben insgesamt. Es ist nicht allein der Job von LSBTI, homo- und transphobe Hetzer und Hetzerinnen in die Schranken zu weisen, sondern Aufgabe aller demokratischen Kräfte und Institutionen, von Parteien und Behörden ebenso wie von Verbänden, Religionsgemeinschaften und Medien. Ein Schritt dorthin ist, dass LSBTI in den Institutionen, z.B. den Rundfunk- und Fernsehräten, angemessen vertreten sind. Das wollen wir bei allen künftigen Änderungen von rundfunk- und medienrechtlichen Staatsverträgen durchsetzen.
Der LSVD will erreichen, dass die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern einen wirksamen nationalen Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie aufstellt. An dessen Entwicklung und Umsetzung muss die Zivilgesellschaft beteiligt sein.
Pädagogik der Vielfalt zum Durchbruch verhelfen
Es gehört zum Bildungsauftrag der Schule, Kinder und Jugendliche auf die gesellschaftliche Vielfalt vorzubereiten, und Diskriminierungen — auch in der Schule — entgegenzuwirken. Religiöse Fundamentalistinnen und Rechtspopulisten kämpfen vielerorts mit großer Verve dafür, dass Informationen über lesbisches und schwules Leben in der Schule tabuisiert werden. Sie laufen mit Hassparolen Amok gegen eine Pädagogik der Vielfalt. Erschreckenderweise erhalten sie dabei oftmals auch Unterstützung aus der CDU / CSU und Teilen der FDP. Dabei ist die schulische Beschäftigung mit LSBTI ein fundamentaler Bestandteil von Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Sowohl in Unterrichtsinhalten, Lernmitteln als auch im Schulalltag muss deutlich werden: LSBTI sind Teil der gesellschaftlichen Vielfalt, sie sind gleichwertig und gleichberechtigt. Der Lesben- und Schwulenverband will erreichen, dass in allen Bundesländern Bildungspläne für eine Pädagogik der Vielfalt, die LSBTI ausdrücklich benennt, verankert werden. Gute Vorbilder gibt es schon.
Ehe für alle endlich durchsetzen
Von Argentinien bis zum Vereinigten Königreich: Viele demokratische Länder haben bereits die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Es werden ständig mehr. Die neuesten Mitglieder im gar nicht mehr so exklusiven Klub sind Luxemburg, wo die Ehe für alle am 1.1.2015 in Kraft getreten ist, sowie Finnland und Slowenien, deren Parlamente kürzlich grünes Licht gegeben haben. In Deutschland kämpft der LSVD seit seiner Gründung für Gleichstellung. 25 Jahre sind genug! Nun muss auf die Eingetragene Lebenspartnerschaft endlich die Öffnung der Ehe folgen. Die Ehe für alle ist auch eine richtige Antwort auf homophobe Hetze.
Der LSVD wird ab diesem Jahr seine Kampagne zur Öffnung der Ehe verstärken. Denn wir setzen große Hoffnungen darauf, dass der Oberste Gerichtshof der USA im Juni 2015 Lesben und Schwulen zu ihrem verfassungsmäßigen Recht auf Gleichbehandlung verhelfen wird. Das würde kräftig Rückenwind bringen. Deutschland darf sich nicht in der demokratischen Wertegemeinschaft isolieren. Es muss ein Ende damit haben, dass eine konservative Sperrminorität hierzulande ihren vermeintlich rechten Glauben über die Rechte der Menschen stellt.
Opfer homophober Strafgesetze unverzüglich rehabilitieren und entschädigen
Keinen Aufschub mehr duldet die vollständige Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen durch antihomosexuelle Strafgesetze in Deutschland. Wir wollen die Rehabilitierung und Entschädigung aller Opfer. Vor 80 Jahren, 1935, haben die Nationalsozialisten die totale Kriminalisierung von Homosexualität verordnet und § 175 des Strafgesetzbuches massiv verschärft. Das NS-Recht blieb in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert in Kraft. Erst 1994 wurde die strafrechtliche Diskriminierung von Homosexualität in Deutschland endgültig beseitigt. Die Urteile nach § 175 in der NS-Zeit wurden 2002 gesetzlich aufgehoben. Seitdem sind 13 Jahre vergangen und die Aufhebung der in der Bundesrepublik und der DDR ergangenen menschenrechtswidrigen Urteile steht immer noch aus. Die Bundesregierung muss endlich aufhören zu prüfen und anfangen zu handeln. § 175 StGB war von Anfang an grundgesetzwidrig. Der Bundestag muss die Urteile aufheben, und zwar unverzüglich, damit wenigstens einigen der Verfolgten noch zu ihren Lebzeiten Gerechtigkeit widerfährt.
Menschenrechte stärken, Flüchtlinge schützen
Gegner von Freiheit und Gleichheit haben Antihomosexualität wieder verstärkt als Mittel der Politik entdeckt. In einer Reihe von Ländern verschärfen autoritäre und korrupte Regime die Verfolgung von LSBTI. In weiteren Staaten ignorieren die Regierungen die Rechte von LSBTI, verweigern ihnen eine freie Entfaltung und Schutz vor Anfeindungen. Wir konnten die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik in den letzten Jahren bewegen, sich endlich auch der Menschenrechte von LSBTI anzunehmen. Das Engagement ist aber oft noch nicht ausreichend und im Vergleich zu einigen westlichen Staaten deutlich steigerungsfähig. Viele bedeutende und einflussreiche Akteure der Außenpolitik und der Entwicklungszusammenarbeit stehen hier immer noch abseits, z.B. auch einige der parteinahen Stiftungen. Hier wollen wir weiter Überzeugungsarbeit leisten. Die globale Antwort auf Unterdrückung und Verfolgung muss die konsequente Förderung von Demokratie auf Unterdrückung und Verfolgung muss die konsequente Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsbildung sein, die LSBTI immer ausdrücklich und gleichberechtigt einbezieht.
Vor Verfolgung, vor Gefahr für Freiheit, Leib und Leben fliehen auch LSBTI nach Deutschland. Der LSVD setzt sich für faire Asylverfahren ein, die kultursensibel geführt werden. Er macht sich stark für die menschenwürdige Aufnahme, Unterbringung und Unterstützung von Flüchtlingen. Unsere Gesellschaft und die Behörden müssen alle Anstrengungen übernehmen, damit Menschen, die sich hierher geflüchtet haben, in Deutschland keinerlei rassistischen, homophoben oder transphoben Anfeindungen ausgesetzt sind. Um die freie Entfaltung zu fördern, soziale Kontakte zu stärken, fordern wir die Aufhebung der Residenzpflicht. Wir setzen uns für eine Unterstützung von Flüchtlingen und Asylsuchenden ein, die adäquate Hilfsangebote und Beratungsstrukturen vor Ort anbietet. Es ist Aufgabe der Behörden, die Sicherheit und Akzeptanz von LSBTI sicherzustellen.
II. Wie wir unseren Verband in den nächsten 5 Jahren weiterentwickeln wollen
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Der LSVD hat sich seit der Verbandsgründung 1990 immer wieder gewandelt, modernisiert und verbreitert. Als Bürgerrechtsorganisation mit dem Namen „Schwulenverband in der DDR (SVD)“ ist er gestartet, bald danach als „Schwulenverband in Deutschland“ bundesweit aktiv geworden. 1999 glückte die Erweiterung zum Lesben- und Schwulenverband. Seitdem arbeiten im LSVD Lesben und Schwule erfolgreich zusammen. Regenbogenfamilien und solche, die es werden wollen, haben ebenfalls ihren festen Platz im LSVD. Insbesondere über unsere Menschenrechtsarbeit im In- und Ausland sind in den letzten Jahren auch die Belange von Transgender, trans-und intersexuellen Menschen immer stärker in unserer Arbeit zum Tragen gekommen.
Diversity fördern, Inklusion verwirklichen
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind ebenso wie Institutionen aufgefordert, sensibel dafür zu sein, ob die Pluralität der Gesellschaft hinsichtlich Gender, Herkunft, Hautfarbe, Behinderung, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Alter, und vielem mehr von ihnen angesprochen wird und sich bei ihnen wiederfindet. Der LSVD wird untersuchen, welche Diversity-Konzepte für ihn passen, um diese Vielfalt bei sich stärker anzusprechen und zu fördern.
Immer mehr werden Trans* und Inter*-Themen zum selbstverständlichen Teil unserer Arbeit. Das wollen wir auch in unseren Grundlagenbeschlüssen wie in unserer Außendarstellung stärker zum Ausdruck bringen. Bis zum nächsten Verbandstag 2016 wollen wir im Dialog mit Aktiven aus den Bereichen Trans* und Inter* unser LSVD-Programm ortentwickeln und die Trans*/Inter*-Inklusion vorantreiben. Es gehört zu den zentralen Anliegen des LSVD, die freie Entfaltung der Persönlichkeit für alle zu garantieren. Vornamensänderung und Geschlechtsänderungen müssen einfach möglich sein. Transphobie muss ebenso entschieden wie Homophobie bekämpft werden.
Bündnisarbeit verstärken
Aufmärsche gegen Muslime, Einwanderer und Flüchtlinge, selbst ernannte „besorgte Eltern“ gegen eine Pädagogik der Vielfalt, AfD-Hetze gegen Genderpolitik und gleiche Rechte für LSBTI: All das hängt eng zusammen. Gegen diese menschenfeindliche Politik mit dem Ressentiment setzen wir auf eine Gesellschaft der Vielfalt, die Konflikte gemeinsam respektvoll ausdiskutiert und nicht die Menschen ausgrenzt. Der LSVD arbeitet mit in vielfältigen gesellschaftlichen Bündnissen für Freiheit und Gleichberechtigung gegen Vorurteile und eine Ideologie der Abwertung von Menschen. Diese Zusammenarbeit wollen wir auf internationaler und nationaler weiter ausbauen und verstärken – innerhalb und außerhalb der LSBTI-Community.
Familienvielfalt weiterdenken
Immer noch müssen wir für volle Gleichstellung beim Adoptionsrecht kämpfen. Eine in die Zukunft gerichtete Familienpolitik muss freilich auch über Gleichstellung hinausdenken. Regenbogenfamilien entstehen in vielerlei Gestalt. Immer öfter werden Familienformen gelebt, bei denen mehrere Personen faktisch Verantwortung für die Erziehung und das Wohlergehen der Kinder übernehmen. Wie sich diese neuen Familienformen im Familienrecht einschließlich des Abstammungsrechts abbilden sollen, welche Herangehensweisen und Reformkonzepte hier sinnvoll sind, wollen wir im Verband und darüber hinaus verstärkt diskutieren. Das Ziel muss sein, dass gerade im Interesse des Kindeswohls die Bereitschaft zur Übernahme elterlicher Verantwortung in neuen Familienformen vom Recht besser anerkannt und unterstützt wird.
Zur Beteiligung einladen
Viele Aktive im LSVD sind seit Jahrzehnten ehrenamtlich engagiert. So manche von uns kommen nun „in die Jahre“. Einige Staffelhölzer warten auf Übergabe. Die schrillen homophoben Stimmen und Aktivitäten der letzten Monate machen deutlich: Wir müssen wachsam bleiben. Gleiche Rechte werden immer wieder verteidigt, um Vielfalt und Respekt wird immer wieder neu gerungen werden müssen. Um das Erreichte zu sichern, müssen wir weiter voranschreiten bei Gleichberechtigung und Akzeptanz. Der LSVD will neue Mitglieder gewinnen und seine Einladung an junge Menschen verstärken, gemeinsam gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt Wirklichkeit werden zu lassen und hier auch neue Allianzen in der Geesellschaft zu schaffen. Über Zukunftsforen sowie den Ausbau von Diskussions- und Beteiligungsmöglichkeiten wollen wir den Dialog über die LSBTI-Zukunftsthemen voranbringen.
Links zum Thema: » Homepage des LSVD » LSVD-Blog: Neue Gesichter im LSVD-Bundesvorstand |
Mehr zum Thema: » Gauck würdigt LSVD (07.04.2015) |