Nach Orlando, vor dem Christopher Street Day: eine queere Standortbestimmung von unserer Gastautorin Sasha Marianna Salzmann, Hausautorin und Dramaturgin des Berliner Maxim Gorki Theaters.
Wenn ich zu eurer Revolution nicht tanzen kann, will ich kein Teil von ihr sein“, sagte die Friedensaktivistin Emma Goldman dem Mann, der fand, dass es sich für eine Revolutionärin nicht gehört, die Beine so von sich wegzuschmeißen.
Feiern ist ein wichtiges vereinendes Moment. Wo wäre Widerstand ohne Feiern? Wir geben uns Kraft, wir machen uns Mut. Es ist CSD-Saison und wir tanzen. Wir sind Berlin. Wir sind BVG. Wir sind Tourismusmagnet, Nachtleben, Mode. Alle unsere heterosexuellen Freunde sind stolz auf uns und wir mit ihnen. Darauf, wie weit wir es geschafft haben. Es ist 2016. In diesem Jahr wurde die große Christopher-Street-Day-Parade in Berlin vom Juni in den Juli verschoben, weil die Fußball-Europameisterschaft zu viel Aufmerksamkeit von unseren Feierlichkeiten zog.
Berlin die toleranteste Stadt Deutschlands und eines der beliebtesten Ziele für Marginalisierte weltweit. Queers aus der ganzen Welt leben hier ihre Diaspora. Wir sind: der gute schwule Freund, die lesbische Künstlerin, der queere Nachtclub. Wir sind das Freakige, das Schillernde, das Verruchte. Vielleicht sind wir auch der Anzugträger, der es gerne in Darkrooms mag und die Butchlesbe hinter dem Tresen.
Man kriegt kurz das Gefühl, dass wir gewünscht sind
Das sind Positionen, in denen wir geduldet und ein bis zwei Mal im Jahr gefeiert werden. Sich in anderen Lebensbereichen zu outen, ist nach wie vor weniger glamourös. Unser uns tolerierendes Umfeld hat uns genau dort, wo es uns braucht: in Clubs, auf Straßenumzügen, beim Eurovision Song Contest. Das Staraufgebot während der Pride Week ist beachtlich, die Werbung dafür scheint überall präsent zu sein und man kriegt kurz das Gefühl, dass wir gewünscht sind. Gewünscht wofür?
Dieses Jahr hat der Ministerrat der Europäischen Union erstmalig ein Forderungspapier für die Rechte der LGBTI innerhalb der 28 Mitgliedstaaten beschlossen – mit der Einschränkung, dass die Gleichstellungsmaßnahmen nur durchgeführt werden sollten „unter umfassender Wahrung der nationalen Identität“. Demnach wäre Diskriminierung also Bestandteil eines nationalen Selbstverständnisses. Naheliegenderweise hat das Auswirkungen auf die Urteile der Judikative, der Legislative, der Exekutiven und der Medien, unserer vier Gewalten. Queer-feindliche Demonstrationen und Reden rechtspopulistischer Parteien, die sich derzeit im Aufwind befinden, belegen das.
In den Orlando-Berichten fielen wichtige Details unter den Tisch
In diesem Jahr fand in Florida ein blutiger Angriff auf die LGBTI-Communitystatt. Orlando steht ab jetzt nicht mehr für die namensgebende Hauptfigur von Virginia Woolfs Roman über einen Körper, der jeder Normierung entflieht. Ab jetzt steht Orlando für die Schießerei während einer Latinix Queer Party, bei der 49 Menschen starben und 53 verletzt wurden. Die Community musste Tage darauf warten, dass der Sachverhalt korrekt benannt wurde: Es war kein Schwulenclub, es war ein LGBTI-Ort. Es war nicht einfach bloß eine Party, es war ein Zufluchtsort für diejenigen, die sich mit ihren Lebensstil sonst nirgendwo sicher wähnen. Es war eine ausgewiesen nicht weiße Veranstaltung, zu der Transfrauen und Dragqueens einluden.
Das alles fiel unter den Tisch bei den europäischen Stellungnahmen zu dem Massaker, die die Klammer „Angriff auf Freiheit und westlichen Lebensstil“ um die Ereignisse zogen. Der Umstand, dass der Täter ein Moslem war, heizte die Berichterstattung kurz an, Als die Vermutungen sich zuzogen, dass es sich um internalisierte Homofeindlichkeit und Rassismus eines Schwulen handelte, an dem die Gesellschaft, in der er lebte, durchaus einen Anteil haben könnte, ebbte das Medienecho ab.
Für Emanzipation brauchen wir klare Positionen, sichtbare Vertretung
Kürzlich veröffentlichte das Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig die Studie „Die enthemmte Mitte“. Aus dieser geht hervor, dass 40,1 Prozent der Deutschen homosexuelle Küsse als „ekelhaft“ empfinden, 24,8 Homosexualität für „unmoralisch“ halten und 36,2 gegen die Homo-Ehe sind. Es ist 2016 und wir tanzen.
In diesem Jahr kam die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass homosexuelle Männer, die auch nach 1945 noch systematisch nach § 175 des Strafgesetzbuchs verfolgt wurden, kollektiv zu rehabilitieren sind. Diese Männer kamen zum Teil aus den Konzentrationslagern direkt wieder in Haft – sowohl in der BRD als auch in der DDR. Wie kann es sein, dass man ihnen erst jetzt zubilligt, dass sie zu ihrem Recht kommen, und wer hat für sie eingestanden?
Die Triangel der Gewalt geht so: Es gibt eine angegriffene Person, eine angreifende und dann gibt es noch die dritte Gruppe – die, die sich nicht zu der angegriffenen Person bekennt.
Für das Opfer kommt das unmittelbare Übel von der ersten, das nachhaltige von der letzteren Gruppe. Für die angegriffene Person ist es keine Überraschung, dass ein Mörder mit Hass auf ihren Lebensstil zur Waffe greift. Dass sie aber keinen Rückhalt erfährt während der Tat und danach gesagt bekommt, sie sei nicht gleichwertig, produziert eine Verletzung, die lebenslang nachhallt.
Angriffe Einzelner entspringen einer Gewaltstruktur
Daran ändern auch aufwendige Solidaritätsbekundungen wie Regenbogenfarben auf dem Brandenburger Tor nichts (dieses Zeichen wurde in Berlin deutlich später gesetzt als in vielen anderen Metropolen). Das eine ist Spektakel, das andere ist gelebte Realität. Die Erfahrung, in Gefahrensituationen nicht unterstützt zu werden, wird in ein Wissen überschrieben. Es hat für immer Auswirkungen darauf, wie ein queerer Körper sich zu dieser dritten Gruppe, die sich als Mehrheit gebärdet, verhalten wird. Es geht nicht darum, dass diese Mehrheit nicht selber schießt. Es schießen immer Einzelne. Aber nur weil sie nicht geschossen hätte, heißt es nicht, sie hätte verteidigt. Hat sie nicht. Das kann sie nicht. Denn die Angriffe dieser Einzelnen entspringen den Gewaltstrukturen dieser dritten Gruppe.
Diese sogenannte Mehrheit empfindet queer als Störfaktor – das ist auch so gemeint. Queer hat keine Übersetzung im Deutschen, aber wenn man es versucht, kommt das Wort „seltsam“ dem am nächsten. Die Geschichte des Begriffs ist ein permanentes Auflehnen gegen die Normierung. Gegen Fremdzuschreibungen. Für ein Recht auf Selbstdefinition. Queere widersprechen mit ihren Zielen, ihren Wünschen, ihrem Begehren der festgelegten Hierarchie. Mit ihrem Lebensstil greifen sie ein in Arbeits- und Familienrecht. In feststehende, auch nationale, Identitätsbilder. In eine Ordnung, die gewaltvoll ist, weil sie so viele ausschließt.
Für Emanzipation brauchen wir klare Positionen, sichtbare Vertretung, sichere Räume. Wir brauchen Verbündete. Nur so ist ein Ausbrechen aus der Triangel der Gewalt möglich, ein Ausbrechen aus der Opferhaltung. Wenn wir beim CSD tanzen, tanzen wir gegen den herabwürdigenden Blick auf Tunten, für die Rehabilitierung der von dem §175 Betroffenen, für das Anerkennen von Trans und Inter als gleichberechtigte Geschlechter. Wir tanzen für Geflüchtete. Fürgeflüchtete Queers. Für Rechte von Menschen in allen ihren Differenzen. Wir, die die Erfahrung des Ungehaltenseins in uns tragen, werden bestehen, weil wir Allianzen schließen mit anderen Ungehaltenen.
Die Geschichte der Minderheiten im 20. Jahrhundert zeigt, dass weder Ghettoisierung noch Assimilation sie schützen. Für uns heute stellt sich also die Frage, wie wir sichtbar bleiben außerhalb der uns zugebilligten Räume. Wie wir als Queers auftreten und handeln. Wie wir das, was wir sind, in die Büros, auf die Straße, in unsere Texte und Gespräche mitnehmen. Es geht die gesamte Gesellschaft etwas an. Und sie hat uns auszuhalten.
Quelle: tagesspiegel.de (vom 22.07.16)