Bundesregierung: Rechtsprechung steht gegen Ehe-Öffnung

Bundesregierung: Rechtsprechung steht gegen Ehe-Öffnung

Inzwischen ein Ritual: Steffen Seibert antwortet auf Fragen von Tilo Jung zur Ehe für alle. Ob das nach der Bundestagswahl weitergeht? (Bild: Youtube-Screenshot)

Regierungssprecher Steffen Seibert betont erneut, die Ehe für alle könne nur durch eine Verfassungsänderung erfolgen – das SPD-Justizministerium hält nicht dagegen

Während am Mittwoch in Finnland die Ehe für alle Gesetz wurde, übt sich die deutsche Bundesregierung weiter in Abwehr. Bereits am Montag hatte Regierungssprecher Steffen Seibert auf eine entsprechende Frage des Journalisten Tilo Jung („Jung & Naiv„) geantwortet, dass die Bundesregierung weiterhin keine Ehe-Öffnung und kein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für Homo-Paare plane, auch weil Ehe und Familie als Verbindung aus Mann und Frau unter verfassungsrechtlichem Schutz stünden (queer.de berichtete).

Am Mittwoch fragte Jung nun bei Seibert nach, wo denn das grundgesetzliche Verbot der Ehe für alle stehe. Das sei „höchstrichterliche, also bundesverfassungsgerichtliche Auslegung des Grundgesetzes“, betonte Seibert. „Lesen sie die einschlägigen Urteile.“ Während die Leiterin der Bundespressekonferenz die Debatte abwürgen wollte, meinte die stellvertretende Sprecherin des von der SPD geführten Justizministeriums, Stephanie Krüger: „Ich habe dem nichts hinzuzufügen.“

Direktlink | Die heutige Bundespressekonferenz mit Déjà-vu-Effekt. Ab 48:10 geht es um die Ehe für alle.

Auf die klar formulierte und wichtige Frage von Jung, ob aus Sicht des Ministeriums eine Grundgesetzänderung zur Öffnung der Ehe notwendig wäre, antwortete Krüger zunächst gar nicht auf die „hypothetische Frage“, um dann zu sagen: „Ich werde Ihnen darauf keine Antwort geben. Weil es eine allgemeine rechtliche Frage ist.“

Nach einem Rüffel durch die Leiterin für Jung, die Pressekonferenz sei „kein Verhör“, ergänzte Seibert: „Sie müssen ja überhaupt nicht der Meinung sein, die das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt hat.“ Nach der Nennung einiger Urteile meinte er: „Das sind nunmal Fakten.“

Juristischer Kaffeesatz statt klarer Politik

Die deutsche Rechtsprechung inklusive Bundesverfassungsgericht hatte in der Tat über Jahrzehnte die Ehe als Verbindung aus Mann und Frau definiert – eine Definition, die im Text des Grundgesetzes selbst nicht enthalten ist. Ob eine Klage auf Ehe-Öffnung in Karlsruhe Erfolg haben könnte, ist daher unter Experten umstritten: Das Gericht spielt nicht gerne Ersatz-Gesetzgeber und könnte sich auch nicht auf Urteile aus Straßburg berufen – der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte kürzlich ein Recht auf die Ehe für alle verneint.

Zugleich hatte Karlsruhe allerdings den im Grundgesetz enthaltenen Schutz der Familie bereits auf Regenbogenfamilien ausgedehnt und das u.a. aus dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes hergeleitet. Auch ermöglichte es in einer anderen Entscheidung die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen: Das Gericht unterband eine Regelung im Transsexuellengesetz, die eine Scheidung vorsah, sollte ein Partner nach der Ehe sein Geschlecht anpassen.

Unter Rechtsexperten herrscht die Mehrheitsauffassung, dass das Bundesverfassungsgericht eine einfachgesetzliche Ehe-Öffnung akzeptieren würde: Sie stünde letztlich in Kontinuität zu den Gleichberechtigung schaffenden Urteilen des Gerichtes und zeige vor allem den Willen des Gesetzgebers, dem Karlsruhe größtenteils nur eigene frühere Aussagen entgegensetzen könnte.

Heiko Maas und SPD lassen Union gewähren


Machte keine gute Figur: Bundesjustizminister Heiko Maas (Bild: Stefan Mey)

Aktuelle Gesetzesanträge der Opposition sowie des Bundesrats mit Beteiligung von SPD-Ländern setzen ebenso auf eine einfachgesetzliche Ehe-Öffnung wie entsprechende Anträge u.a. der SPD-Bundestagsfraktion aus der vorherigen Legislaturperiode. Die aktuellen Anträge werden teils seit Jahren von der Großen Koalition im Rechtsausschuss vertagt. Würde die SPD gegen die Union mit der Opposition stimmen, gäbe es eine große Mehrheit für die Ehe für alle.

Die Frage, ob eine Grundgesetzänderung notwendig wäre, hat auch einen politischen Aspekt: Für diese wären Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig – CDU/CSU könnten so die Ehe für alle noch für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte blockieren.

Als im Mai 2015 das Justizministerium auf eine Kleine Anfrage antwortete, eine Grundgesetzänderung sei notwendig, war Minister Heiko Maas (SPD) dafür von queer.de kritisiert worden. Er antwortete auf Facebook, die Grundgesetzänderung sei nicht zwingend (queer.de berichtete). In einer Bundespressekonferenz wenige Wochen später hatten eine Ministeriumssprecherin, aber auch Seibert, betont, dass die Frage „noch nicht abschließend geklärt sei“ (queer.de berichtete). Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kommentierte wiederum später, dass eine Verfassungsänderung notwendig sei (queer.de berichtete) – diese Haltung scheint sich in der Bundesregierung als offizielle durchgesetzt zu haben.

In der letzten Woche hatte die „heute“-Redaktion berichtet, der designierte SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz wolle die Ehe-Öffnung zu einem Wahlkampfthema machen (queer.de berichtete). Während die SPD-Pressestelle das nicht bestätigen wollte und der Kandidat das Thema seit der Ernennung in Reden, auch zum heutigen politischen Aschermittwoch, ignorierte, hatten Unions-Politiker wie der einflussreiche Fraktionschef Volker Kauder in den letzten Tagen die Ablehnung der vermeintlichen Pläne bekräftigt (queer.de berichtete).

Quelle: queer.de (vom 01.03.2017)

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