So war der erste CSD in Berlin (1979)

So war der erste CSD in Berlin (1979)

Sein Schlüsselerlebnis hatte Bernd Gaiser 1965. Der damals 20-Jährige absolvierte seinen Wehrdienst bei der Marine, als ein Kamerad unehrenhaft entlassen wurde, weil er gegen Paragaf 175 verstoßen hatte. Dieser stellte „Unzucht unter Männern“ unter Strafe und galt bis 1969 sogar noch in der verschärften Fassung der Nationalsozialisten. „Das war so eine Schande für ihn, dass er sich das Leben genommen hat“, sagt Gaiser. „Als ich an seinem Grab stand, wusste ich, dass ich so etwas nie wieder erleben will. Ich wollte dafür kämpfen, dass Homosexuelle vor dem Gesetz gleich behandelt werden und nicht wie Menschen zweiter Klasse.“

Diese Erkenntnis ist jetzt 52 Jahre her – 52 Jahre, in denen sich viel getan hat im Leben von Bernd Gaiser, aber auch in der Sache, für die er sich einsetzt. Für ihn führte der Weg 1967 aus der Heidelberger Provinz in die Mauerstadt, wo sich der Buchhändler im schwulen Verlag Rosa Winkel engagierte und den Berliner Andreas Pareik kennenlernte. „Im Frühjahr 1979 kam er völlig aufgelöst von einem New-York-Besuch zurück und sagte: Dieses Jahr ist zehnter Jahrestag des Stonewall-Aufstands! Die wollen da eine Riesendemo machen, das brauchen wir auch in Berlin!“

Selbst gedruckte Flugblätter

So kam es, dass die beiden Männer nur mit Hilfe von ein paar selbst gedruckten, in Bars verteilten Flugblättern den ersten Christopher Street Day (CSD) außerhalb der USA organisierten – am 30. Juni 1979 in Berlin, während befreundete Aktivisten zeitgleich in Bremen auf die Straße gingen. „Viele Unterstützer sind dorthin gefahren, aus Angst, dass zu wenige mitmachen. Deshalb war die Teilnehmerzahl in Berlin mit 500 etwas klein“, erzählt Gaiser im Garten des Lebensort Vielfalt, ein Mehrgenerationenhaus über der Schwulenberatung in Charlottenburg, das er mitgegründet hat.

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Bernd Gaiser vor dem Lebensort Vielfalt, ein Mehrgenerationenhaus in Berlin-Charlottenburg, das er mitgegründet hat. Foto: Paulus Ponizak

Und ergänzt dann schmunzelnd: „Wir haben das bewusst nicht in die Gremien von Schwulen- oder Lesbenzentrum gegeben, denn dann wäre erstmal monatelang diskutiert worden.“ Zu zweit waren sie einfach pragmatisch: Pareik meldete die politische Demonstration an, Gaiser organisierte Pritschenwagen und Megafon. „Alles war improvisiert und die Route viel kürzer, vom Savignyplatz über die Kantstraße und Joachimsthaler Straße, dann den Kudamm runter Richtung Halensee.“

Applaus und homophobe Sprüche

Pfingsten 1973 hatte es schon mal eine große Schwulen-Demo in Berlin gegeben: „Da fielen noch Sprüche wie ’Schade, dass man euch unter Hitler nicht alle vergast hat’“, erinnert sich der heute 72-Jährige. Sechs Jahre später war die Gesellschaft schon offener geworden. Einige Zuschauer hätten sogar applaudiert, so Gaiser: „Es gab auch Musik, aber nur einen Lautsprecher, und wir haben fröhlich zusammen getanzt – zwei Drittel waren schwul und ein Drittel lesbisch.“

Auf ihren Transparenten standen nur zwei Parolen: „Mach Dein Schwulsein öffentlich!“ und „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ „Unser gemeinsames Anliegen war die Sichtbarmachung homosexuellen Lebens, um dessen Akzeptanz zu fördern. Damals haben sich ja noch viele versteckt“, sagt Gaiser.

Seit 1979 gab es jedes Jahr einen CSD in Berlin. Gaiser war noch an der Organisiation von drei weiteren beteiligt, aber nicht mehr federführend, sondern als Teil von Gruppen, deren Mitglieder jedes Jahr wechselten. Einen festen Verein gibt es erst seit den Neunzigern. „Und hunderttausende Besucher erst seit dem Mauerfall, weil dann noch mehr Touristen kamen“, sagt Gaiser.

CSD zwischen Demo und Party

Wer heute den Berliner CSD besucht, sieht Trucks, auf denen leicht bekleidete Menschen mit Trillerpfeifen und Wasserpistolen zu wummernden Bässen tanzen. Viele der Wagen werden inzwischen von großen Firmen gesponsert. Auch das gesamte politische Parteienspektrum schickt Vertreter und wirbt um die Gunst des schwul-lesbischen Wahlvolks.

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Die Route des CSD 2017.

Tatsächlich stehen die Organisatoren vor einem Konflikt. Einerseits wollen sie den Protest nicht in der Party untergehen lassen, andererseits sorgen große Wagen mit bekannten DJs für viele Zuschauer, die man für diese Themen gewinnen will.

Doch 2017 haben sich dessen Veranstalter hoffnungslos zerstritten – ausgerechnet wegen Vorwürfen von Rassismus und Antisemitismus innerhalb der eigenen Gemeinschaft, also genau jenen Dingen, die der offizielle CSD mit seinem aktuellen Motto „Jede Stimme gegen Rechts“ anprangert.
Alternatives Picknick in der Hasenheide

Kritik an der großen Demo gibt es unter den queeren Bewohnern der Hauptstadt aber auch ohne Kreuzberger CSD noch immer. Deshalb hat eine Gruppe von Aktivisten ein „Queeres Picknick“ als parallel stattfindende Gegenveranstaltung organisiert: „Wir wollen einen queeren Raum schaffen, der es uns ermöglicht unsere Identitäten zu zelebrieren – ohne das mittlerweile zur traditionellen Christopher Street Parade gehörige Sponsoring großer Firmen, die viele Werbung und die bisweilen nervenaufreibenden Menschenmassen“, schreiben die Organisatoren auf ihrer Facebookseite.

Fast 4000 Nutzer haben dort Interesse an dem Picknick im Volkspark Hasenheide bekundet, das auch all jenen eine Protestform bieten möchte, die nicht mobil genug für einen Aufzug sind. Die Einnahmen der Essensstände werden der Schwulenberatng gespendet.
Reihenfolge der Teilnehmer verändert

Tatjana Meyer, Sprecherin des offiziellen CSD, stört das Konkurrenzprogramm nicht: „Mir ist wichtig, dass möglichst viele Leute für ihre Rechte eintreten – ob nun bei uns oder woanders, Hauptsache, sie zeigen Gesicht.“ Weil auch innerhalb ihres Vereins schon über die Ausrichtung der Demo gestritten wurde, gibt es seit 2014 einen Kompromiss: Nur noch höchstens 30 Prozent der Plakatflächen dürfen mit Werbung bedruckt werden.

Außerdem wurde die Reihenfolge der Teilnehmer verändert. Zu Beginn der Parade gibt es jetzt einen leisen Block mit Fußgruppen, am Ende den lauten mit den Lkws. Bei den Berlinern kommt das gut an: „Im ersten Block sammeln sich inzwischen viele Menschen, die schon seit Jahren nicht mehr beim großen CSD gewesen waren“, sagt Meyer.

Der Kampf geht weiter

Einer von ihnen ist Bernd Gaiser. Als Teil der Gruppe „Mit 50 plus ist noch lange nicht Schluss“, bei der etwa 60 ältere Schwule mit Fahrrad-Rikschas fahren. „Jeder sollte den CSD für sein eigenes Anliegen nutzen. Der CSD-Verein schafft ja nur den Rahmen – die Inhalte müssen wir selbst bestimmen“, meint er.

Das Ziel könne nicht die Ehe für alle sein, sondern das Ende von Homo- und Transphobie, Rassismus und Antisemitismus. „Der Kampf gegen diese Strömungen wird niemals enden“, sagt Gaiser. Heute Abend, wenn der Demozug am Brandenburger Tor angekommen ist, wird Gaiser für sein unermüdliches Engagement mit dem Zivilcouragepreis Soul of Stonewall Award ausgezeichnet.

 

Quelle: berliner-zeitung.de

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