So wie auch unsere anderen Tanz- oder Koop-PartnerInnen, die das GleichTanz-Projekt unterstützen, gehört sie mit zu denjenigen, die für uns, die wir gleichgeschlechtlich tanzen möchten, Möglichkeiten (Kurse, Partys) dafür geschaffen haben, und die damit den Weg für ein anderes Paartanzen jenseits der traditionellen Rollenklischees bereitet haben.
Auch unsere anderen Koop-PartnerInnen wollen wir in der nächsten Zeit einmal vorstellen (insbesondere, wenn sich dies mit einem besonderen Anlass verbindet).
Astrid Weiske fand 1995 zum Argentinischen Tango – durch ihre damalige Arbeit als Fotografin und Grafikdesignerin – und lernte das Tangotanzen über viele Jahre von international angesehenen TangolehrerInnen.
Ihren allerersten Tangokurs jedoch besuchte sie in der Schokofabrik, einem Frauen-Kulturprojekt in Kreuzberg. “Ich bin dann auch auf alle möglichen Milongas gegangen, und da ich unbedingt im Tango führen wollte, habe ich damals auch ein paar irritierte oder ablehnende Reaktionen bekommen, aber auch viel Zustimmung, weil ich das traditionelle Rollenbild in Frage stellte.”
Ab 2005 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit und startete ihr Projekt QueerTangoBerlin, um ihre eigene Begeisterung für den Argentinischen Tango auch der gleichgeschlechtlichen Tanzszene Berlins nahe zu bringen: “Tango Argentino ist Begegnung in Bewegung, Freude am Miteinander zur Musik, neue Erlebnisse beim Tanzen zu entdecken und dabei das persönliche Wachstum zu fördern.”
Sie begann, Kurse und Workshops anzubieten (in der Tanzschule PhynixTanzt), und auch Milongas, die anfangs ebenfalls im PhynixTanzt stattfanden (“Bei der ersten Milonga waren wir nur sechs Leute! Es war ein langer Weg, bis sich eine ausreichend große queere Tangogemeinde gebildet hatte, und seit drei Jahren finden die Milongas regelmäßig einmal im Monat in dem großen Tanzsaal der Tanzschule bebop in Kreuzberg statt.”).
GleichTanz: 2005 ? Also eigentlich müßtest Du dann ja das Elfjährige feiern?!
“Ja, stimmt, aber im letzten Jahr hatte ich so viel zu tun (vor allem mit dem Internationalen Queer Tango Festival Berlin), dass ich einfach keine Zeit zur Vorbereitung einer Jubliäusmfeier hatte. Das 10-Jährige hole ich jetzt deshalb mit umso mehr Energie nach!”
Neben ihrer Arbeit mit QueerTangoBerlin geniesst Astrid darüber hinaus mittlerweile international hohes Ansehen als Tangolehrerin und Performerin, sowohl in queeren als auch in nicht-queeren Tangogemeinden weltweit. “Offen lesbische Tangolehrerinnen und Performerinnen sind nach wie vor eine absolute Seltenheit.” Sie folgt regelmäßg Einladungen als Gastlehrerin in die USA, Kanada, Buenos Aires, ganz Europa und Russland. Denn in vielen Ländern wachsen langsam die queeren Tango Communities.
2011 initiierte sie das Internationale Queer Tango Festival Berlin, das sie seither jedes Jahr veranstaltet und an dem mittlerweile mehrere hundert TeilnehmerInnen (aus Berlin, Deutschland und vielen anderen Ländern weltweit) immer im Juli nach Berlin kommen. “Berlin ist mittlerweile DAS Queer Tango Mekka weltweit und Inspiration für viele queere TangotänzerInnen.”
GT: Ist es nicht ein großes Risiko, sich in der doch zahlenmäßig begrenzten schwullesbischen und queeren Tanzgemeinde selbständig zu machen?
„Reich kann man davon sicher nicht werden, darum ging es mir auch überhaupt nicht. Am Anfang war einfach eine Vision. Festzustellen, jahrelang in den Tango Communities “The only gay in town” zu sein, hab ich hinterfragt. Es gab keine bis kaum Angebote in Berlin damals und queere TänzerInnen in den normalen Tangoschulen oder Milongas waren eine absolute Seltenheit, verständlicherweise. Das war mein Ansatz: in einer offenen Queeren (LSBTI) Umgebung Tango zu lernen und zu tanzen. Gleichgesinnte treffen.
Dennoch gibt es natürlich auch betriebswirtschaftliche Aspekte die nicht zu unterschätzen sind. Die finanzielle und juristische Verantwortung für ein Festival ist enorm.
Auch das Problem, dass Veranstaltungen nicht mehr stattfinden können, weil zu wenig Leute kommen bei queeren Tanzveranstaltungen und zu wenig konsumiert wird und nicht genügend Umsatz anfällt, so dass die Veranstaltungslocations keine lohnenswerte Miete mehr einnehmen und aufkündigen. Vom Veranstalter ganz zu schweigen. Mieten steigen und steigen, für Veranstaltungen, für Unterricht etc., etc.
GT: Hat sich dieses Engagement über zehn bzw. elf Jahre „gelohnt“? Und würdest Du es noch einmal machen?
Schwer zu sagen, alles war ein Prozess, der mit einer Vison angestossen wurde. Da war nicht alles im vorraus planbar. Etwas Naivität am Anfang gehört wohl dazu, und mittlerweile ist da sehr viel Erfahrung gewachsen – tänzerisch, pädagogisch und auch veranstaltungstechnisch. National wie International haben viele Tango- oder Tanzcommunities alle mit den selben Themen zu tun und daraus läst sich viel lernen.
Gelohnt hat es sich sicher, wenn ich sehe, wie postitiv sich die Queer Tango Community entwickelt hat, allein in Berlin, aber auch weltweit. Bei der ersten Milonga 2005 waren nur ein paar Leute, heute gibt es schätzungsweise 150 bis 200 aktive queere TangotänzerInnen allein in Berlin, sowie mehrere queere Milonga-Angebote in der Stadt.
Mit dem Tango ist es wie mit einer Beziehung, es gibt viele Phasen: Hochs und Tiefs, Frustration und Glücksmomente, Lernen und Wachstum, auch über die rein tänzerischen Aspekte hinaus. Für mich persönlich ist der Tango meine längste Lebensbeziehung: 20 Jahre, intensive Auseinandersetzung, tänzerisch, pädagogisch, musikalisch, sozial, beruflich. Tango hat sich in meinem Leben eben über eine reine Freizeitbeschäftigung hinaus entwickelt.
Immer lernen wollen, das ist mein Antrieb und das, was ich selbst tänzerisch gelernt habe, wieder weiter zu geben. Da geht es mir um weit mehr als nur Schritte lernen, mir geht es um mentale und physische Achtsamkeit, Wahrnehmung von sich selbst und meinem Gegenüber, Kommunikation mit dem Körper. Körperarbeit, die dem Tanzen und der gemeinsamen Bewegung im Tanz zuträglich sind, Verständnis für Führen und Folgen. Und nicht zuletzt Entwicklung von Musikalität in jedem Einzelnen, das ist es, was mich antreibt und 20 Jahre Erfahrung und konstantes Selber-lernen in vielfältiger Auseinandersetzung mit Tanz und Tango, Körper und Musik.
Wohin das führen wird, weiss ich nicht, aber solange ich persönlich noch Wachstum erfahre, werde ich das auch fortführen, sicherlich auch mit Veränderungen … Das Leben bleibt spannend!”
Danke, Astrid, für Deinen Einsatz (und auch Dank an all die anderen Engagierten in der gleichgeschlechtlichen Tanzszene!) – und herzlichen Glückwunsch zu Deinem Jubiläum!
Günther Schon
Alle Infos zum Jubiäums-Wochenende am 09./10. April finden sich in unserem Beitrag!