Homofeindlichkeit in Berlin: „Man wird als Person in Frage gestellt“

Homofeindlichkeit in Berlin: „Man wird als Person in Frage gestellt“

Angriffe im Regenbogenkiez, Hassbotschaften auf Facebook: In Berlin sind homofeindliche Übergriffe Alltag. Ein Professor für Kriminologie untersucht diese Gewaltdelikte. Eine Spurensuche.

Die Frau war so was von genervt. Können diese Typen nicht ein bisschen leiser sein, müssen sie mit ihrer Musik die ganze Nachbarschaft beschallen? Schlimm genug, dass die Musik so dröhnte, aber die Schallwellen erreichten ihre Wohnung als erstes, sie wohnte schließlich gleich nebenan. Und die Nachbarn war erstmal nur laut; dass sie auch schwul waren, spielte jetzt noch keine Rolle. Das sollte erst später kommen, bei Eskalationsstufe vier. Erstmal versuchte sie es mit genervtem Reden, dann mit lautem Reden, dann mit Gebrüll. Half alles nichts. Die Nachbarn brüllten zurück, sie waren Männer, sie waren noch lauter.

Also fing die Frau an zu tippen. Sie schrieb auf Facebook, mit jedem Satz fielen ihr noch mehr Schimpfworte ein, es dauerte nicht lange, bis sie die Homosexualität der beiden als ideales Angriffsziel entdeckte. Und nun ging es erst recht los. Eine homophobe Bemerkung nach der anderen, eine Kaskade an schwulenfeindlichen Sätzen.
Wenn Beleidigungen ins Homofeindliche kippen

Wie der Streit endete, weiß Claudius Ohder auch nicht, es ist auch egal. Es geht um die Form des Streits. Die Aggressivität steigerte sich wie die Musik bei Ravels Bolero. Und es geht um den Zeitpunkt, wann die Beleidigungen ins Homofeindliche kippten. Das führt nämlich zum Kernsatz von Ohders Botschaft: Klassische, rein homophobe Straftaten sind sehr selten. Meist vermischen sich verschiedene Delikte, bei denen dann homophobe Teile eine Rolle spielen.

Ohder, Professor für Kriminologie an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), hat dazu mit seinem Kollegen Helmut Tausendteufel eine Studie ausgearbeitet. Sie trägt den etwas sperrigen Titel „Präventionsorientierte Analyse von Gewaltdelikten gegen homosexuelle Männer“. Bei einem Werkstattgespräch der HWR, auf dem Campus in Schöneberg, hat er sie vorgestellt. Die Autoren konzentrierten sich dabei auf Gewalt gegen Schwule.
70 Prozent der Täter haben einen deutschen Pass

Schöneberg hat in diesem Fall auch für eine symbolische Bedeutung. Es steht in einer besonderen Statistik für einen erschreckenden Wert. 25 Prozent aller homofeindlichen Taten in Berlin, die 2014 und 2015 von der Polizei protokolliert wurden, geschahen in Schöneberg. Wenig überraschend, schließlich ist rund um den Nollendorfplatz der größte Regenbogenkiez. In Mitte passierten 20 Prozent der Taten, in Kreuzberg zehn. Mit Zahlen kann man viele Geschichten erzählen. Zum Beispiel, dass die Polizei vieles nicht aufklären kann. 2012 registrierte das Landeskriminalamt 79 homofeindliche Taten, konnte aber nur 25 aufklären. 2014 sah es etwas besser aus. Von 57 Fällen wurden in 24 die Täter festgestellt.

Wer denkt, vor allem Jugendliche fielen als Täter auf, liegt falsch. 75 Prozent der Täter waren älter als 21 Jahre. 70 Prozent hatten einen deutschen Pass, wobei Ohder signalisierte, dass darunter auch Deutsche mit Migrationshintergrund sind.

Klar ist, dass die Dunkelziffer hoch ist. 316 Taten in Bezug auf die sexuelle Orientierung des Opfers hat die Polizei im vergangenen Jahr in Deutschland festgestellt. In Berlin protokollierte die Polizei in diesem Zeitraum 162. Doch Maneo, das schwule Anti-Gewalt-Projekt, notierte 2016 allein für Berlin mehr als 700 Vorkommnisse, in 291 Fällen wurde ein homofeindlicher Hintergrund bestätigt. Und noch eine interessante Erkenntnis aus Ohders Studie: 80 Prozent der Täter waren wegen allgemeiner Gewalt bereits vorbestraft.
„Eine Verletzung der homosexuellen Identität“

Den Opfern ist das freilich völlig egal, die interessiert keine trockene, blutleere Statistik, die interessiert nur die seelischen und die körperlichen Wunden, welche die Täter geschlagen haben. „Das Opfer“, sagt Ohder, „erlebt eine Verletzung der homosexuellen Identität. Man wird als Person in Frage gestellt.“

Die Täter empfinden selbstverständlich ganz anders, es geht um Macht, es geht um das prickelnde Gefühl von moralischer und körperlicher Überlegenheit. „Sie stärken die soziale Identität“, sagt Ohder. „Diese Stärkung dient dazu, die eigene Gruppe aufzuwerten und die andere, die homosexuelle, abzuwerten.“ Oder aber auch: „Die harte Männlichkeit wird verteidigt.“ In vielen Fällen ist es auch eine Art Verdrängung, eine Form von Selbstschutz. Einige Täter haben Angst, dass sie auf selber auf homoerotische Signale reagieren könnten. Es gibt Versuche, die zeigen, dass besonders homophobe Täter auf homophile Bilder reagieren.
Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit gibt es auch in den feinsten Kreisen

Aber, noch eine Kernbotschaft von Ohder: Es gibt nicht diesen Reißbrett-Täter, der alle Klischees erfüllt. Den man quasi am Computer basteln und dann als Stereotype darstellen kann. Klar, das sagt auch Ohder, junge Männer mit geringem Selbstwertgefühl, eher ungebildet, finanziell eher klamm, die sind natürlich besonders anfällig für Homophobie. Aber Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit gibt es auch in den feinsten Kreisen.

Und wie bekämpft man nun frühzeitig und erfolgreich solche homofeindlichen Tendenzen? Sinn und Zweck der Studie ist es auch darauf Antworten geben zu können. In der wissenschaftlichen Darstellung, in der Theorie quasi, ist das gar nicht so schwer. Mit Aufklärung zum Beispiel, mit Gesprächen bei Leuten, die erst am Anfang ihrer kriminellen Laufbahn stehen, die also noch erreichbar sind. Oder eine stärkere Beachtung der homophoben verbalen Gewalt im Internet. „Die Polizei sollte sich überlegen, ob sie bei der Tatermittlung den homophoben Taten noch mehr Aufmerksamkeit widmet“, sagt Ohder. Quasi zur Vorbeugung vor Schlimmeren. „Es werden relativ wenig Taten aufgeklärt. Aber wenn sich das nicht ändert, stabilisieren sich die Zahlen.“
Wie erkennt man homofeindliche Hintergründe?

Es spricht der Wissenschaftler, der Professor für Kriminologie, der Mann für die Analyse. Aber beim Werkstattgespräch waren auch Praktiker. Polizisten, die jeden Tag auf der Straße sind, die im Regenbogenkiez mit Opfern reden, Taten protokollieren, nach Tätern jagen und fahnden. Und diese Praktiker können mit dieser Theorie nicht viel anfangen. Wie sollen wir denn feststellen, ob eine Tat homophobe Bezüge hat, fragten sie. Wie sollen sie wissen, ob der Mann gerade überfallen wurde, ein Zufallsopfer war oder Pech hatte, weil es schwul ist? Wie soll man denn herausfinden, ob der Täter überhaupt wusste, welche sexuelle Orientierung sein Opfer hatte? Wie soll man homofeindliche Hintergründe erkennen, wenn die Opfer das selber nicht einschätzen können? Solche Fragen stellten sie.

Darauf hatte der Kriminologe Ohder aber nun auch keine zielführende Antworten.

In Berlin gibt es in der Staatsanwaltschaft eigene Ansprechpersonen für Opfer homo- und transfeindlicher Übergriffe. Mehr dazu lesen Sie hier im Interview.

 

Quelle: tagesspiegel.de (10.11.17)

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