Das diesjährige Thema ist „Die klitorale Wahrheit“, es gibt Workshops über weibliche Ejakulation und „How to Shoot a Porn„, eine Sex-Party für Frauen, eine Protestaktion gegen die britischen Pornografiegesetze, eine Fotografin, die „Pussy-Pictures“ macht und eine von Méritt kuratierte Ausstellung namens „Porn That Way“ im Schwulen Museum* Berlin. Méritt ist außerdem die Gründerin des PorYes-Awards, des ersten feministischen Pornofilmpreises in Europa, und gibt jährlich den erotischen Kunst- und Geschichtenband Mein lesbisches Auge heraus, der ebenfalls diesen Monat erscheint.
Ich hatte neulich die Gelegenheit, mich mit ihr zu unterhalten.
Laura Méritt. Foto: Polly Fanlaff
VICE: Du feierst den MösenMonat jetzt schon seit fast zehn Jahren. Was genau ist der MöMo, und warum findet er im März statt?
Laura Méritt: Der März ist der feministische Monat.
Weil zum Beispiel in englischsprachigen Ländern Women’s History Month ist?
Genau. Überall gibt es Veranstaltungen über Frauenrechte und -perspektiven. Wir fanden schon immer, dem feministischen Monat fehlt Sex, also wollten wir im März, oder wann auch immer, die Vulva als die wichtigste Sache der Welt zelebrieren.
Du hast schon häufiger gesagt, dass es keine Kultur der Möse gibt.
Ja, das ist der Hintergrund dazu. Es gibt keine Vulvakultur. Es gibt eine große Peniskultur in der ganzen verdammten Welt, aber seit tausend Jahren gibt es keine Kultur der Vulva. Wir wollen wieder eine Praxis des Hinsehens erschaffen, und die Geschichte der Vulva dokumentieren. Es gibt Bands, Workshops, Kunst—aus allen Richtungen—Filme … es ist immer fachübergreifend.
Den Startschuss für den MösenMonat lieferte am Freitag eine „Freuden-Vernissage“. Was erwartet uns sonst noch?
Da gibt es zum Beispiel die Pussy-Profile. Wir fingen letzten März damit an, und ein Jahr später zeigen wir nun die Resultate. Viele haben ihre Vulvas gezeichnet, und es ist wirklich etwas Besonderes. Es können alle teilnehmen, die mitmachen wollen—deine Mutter, deine Großmutter, wer auch immer. Bisher war die Jüngste 13 und die Älteste 77. Das große Interesse an dem Projekt hat mich wirklich überrascht. Jetzt werden wir uns auf verschiedene Fragen konzentrieren. Frauen wollen ihre eigene Sexualität beschreiben, und es ist auch an der Zeit, also werden wir weiterforschen und mehr Daten sammeln und ein Buch darüber schreiben.
Was für Aussagen über ihre Vulvas kommen häufig von den Teilnehmerinnen?
Ich bin sehr froh, dass die Mehrheit der Frauen angegeben hat, dass die Lippen asymmetrisch sind und die inneren Lippen, entweder nur eine oder beide, über die äußeren Lippen hervortreten. Das ist das Wichtigste, um den kosmetischen Operationen gegenzusteuern.
Wie Labioplastik?
Ja. Das war eines der Ziele der Umfrage. Ich habe mich auch über das Haar und das Styling der Vulva gefreut. Die meisten scheinen nicht mehr [komplett kahl] zu sein. Es gibt viele, die natürlich sind—etwa 30 Prozent—und viele, die es einfach immer ein bisschen trimmen, und ein Drittel gab an: „Ich habe immer eine bestimmte Frisur“, so wie wenn sie ihr Kopfhaar stylen. Es freut mich zu sehen, dass es mehr Vielfalt gibt als vor ein paar Jahren. Die meisten sagten, sie seien stolz auf ihre Vulva und beschrieben sie auf positive Weise. Natürlich gab es auch solche, die sagten: „Meine Lippen sind ungleich und das verunsichert mich.“
Wie nennen die meisten Frauen ihre Genitalien? Ich schätze mal, nicht Vulva.
Noch nicht. Das kommt noch. Das erste Wort ist immer Vagina—das ist die Bezeichnung, die hauptsächlich von Ärzten und so verwendet wird.
Obwohl es falsch ist.
Ja. Das zweite ist Muschi, das dritte ist Scheide, das vierte ist Vulva, das fünfte ist Möse, und hier kann man etwas Veränderung sehen, denn vor zehn Jahren war das noch kaum verbreitet, und heute ist es das. Die Sprache ist also im Wandel. Ich bin mir sicher, wenn wir weiterhin diese Umfragen machen, dann werden wir weiterhin Veränderungen sehen.
Buchdeckel von Mein lesbisches Auge
Es scheint, als würden Frauen sich die Sprache immer mehr zurücknehmen, wie „Schlampe“ und „Möse“ zum Beispiel.
Ja. Bewusstsein! Das ist das Wichtigste überhaupt.
Beim MösenMonat gibt es jeden Freitag eine Fotografin, die „Pussy-Pictures“ macht. Werden diese Fotos als Teil der Ausstellung gezeigt?
Die Pussy-Pictures sind ein Projekt, das seit vielen Jahren läuft, und wir zeigen immer eine Auswahl davon in bestimmten Ausstellungen. Man kann einige der Bilder aus dem Vorjahr in „Porn That Way“ sehen. Alle können mitmachen. Sie sind dazu da, der Öffentlichkeit zu zeigen, wie vielfältig Vulvas sind.
Der MösenMonat, Mein lesbisches Auge und „Porn That Way“ präsentieren alle weibliche Homosexualität. Ist lesbische Sichtbarkeit heute immer noch ein Kampf?
Lesbische Sichtbarkeit ist definitiv noch immer ein Kampf—und jetzt, wo es die Trans-Bewegung gibt, ist die mehr im Fokus. Und in der Queer-Szene merkt man schnell, dass überall sehr viel Männlichkeit ist. Nicht unbedingt aufgrund der Menschen, aber aufgrund der Strukturen. Wir leben noch immer in einer patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft. Die Strukturen zu ändern und Geschlechtergleichheit zu verwirklichen, braucht viel Zeit. Das liegt also noch in der Zukunft, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Du bist Gelotologin, was bedeutet, du erforscht das Lachen und seine Auswirkungen auf den Körper. Wie baust du Lachen in deine sexuelle Aufklärungsarbeit ein?
Für mich gibt es einen großen Zusammenhang zwischen Lachen und Sexualität, denn wenn du lachst, dann öffnest du deinen Mund. Nicht nur den Mund in deinem Kopf, sondern auch den Mund deines Chakras, den Sex-Mund. Diese zwei Münder sind verbunden, und deswegen kannst du viel Freude erleben, wenn du lachst und dich entspannst. Wir können in der Geschichte sehen, dass Menschen versucht haben, sowohl die Sexualität als auch das Lachen der Frau zu verbieten. Zum Beispiel wollte der türkische Vizepremier letztes Jahr Frauen verbieten, auf der Straße zu lachen; es ging dabei nur um Unsicherheit, Sexualität, und darum, dass es unerwünscht ist, dass Frauen ihre Münder aufmachen und sie selbst sind.
Im Sexclusivitäten, Europas ältestem feministischen Sexshop und Salon
Lachen hilft bestimmt beim Umgang mit Sexismus und Sexnegativität.
Natürlich. Es geht darum, positive Energie ins Leben zu bringen. Am Anfang, als Frauen gerade erst anfingen, um ihre Rechte zu kämpfen, gab es nicht besonders viel Gelächter—doch Lachen ist eines der wichtigsten Dinge, wenn es darum geht, Einigkeit zu sichern und dich selbst zu vergewissern, dass du in Ordnung bist. Vor allem, wenn der Rest der Welt überzeugt ist, du seist nicht in Ordnung, oder wenn du unterdrückt wirst. Lachen kann subversiv sein.
Lass uns über 50 Shades reden. Er stellt BDSM in einem ziemlichen negativen Licht dar, doch muss er wohl einer der ersten Mainstreamfilme sein, in denen es um „Vaginalfisting“, „Analfisting“ und „Buttplug“ geht. Du bist seit mehr als 20 Jahren sexpositive Aktivistin—ist das Fortschritt?
Die Tatsache, dass dieses Buch und der Film so erfolgreich sind, sehe ich als Fortschritt an. Selbst wenn die Geschlechterpolitik in dem Buch wirklich konservativ ist, die Sexualpolitik ist es nicht. Sie sprechen über Sex und gehen damit um. Es ist Mainstream. Also denke ich, das ist in Ordnung. Natürlich gibt es viele Kritikpunkte, aber es ist Hollywood.
Verlieren wir mit der kulturellen Akzeptanz von mehr und mehr sexuellen Subkulturen und Praktiken den Reiz der sexuellen Tabus? Wird Sex langweilig?
Ah, das ist die Frage. Ich glaube nicht, dass Sex unbedingt mit Tabus verbunden ist. Das ist alles ein mystisches Ding und nur erfunden. Es ist Ideologie, und es ist eine Sache, die vor allem für Frauen ideologisch ist. Deswegen fehlt uns das Wissen über uns selbst, weil Männern das Mystische daran gefällt, nicht zu wissen, was in Frauen vorgeht.
Das Geheimnis der weiblichen Sexualität?
Genau.
Die Leute verwechseln Unwissenheit mit Mystik.
Ja, und die Leute sagen, wir würden Gefahr laufen, das Abenteuerliche am Sex zu verlieren, wenn alles erlaubt ist. Aber die Kehrseite ist, wenn du etwas Unerlaubtes tust, dann riskierst du, ins Gefängnis zu wandern. Ist das die Art Abenteuer, die du willst? Es ist verrückt. Ich finde also, diese ganze Diskussion—dass wir den Sinn der Sexualität verlieren—ist Blödsinn. Das ist für die Konservativen, die die Sexualität kontrollieren wollen.
Wenn du ein Abenteuer willst, dann spiel‘ es. Geh zu einer Spielparty. Wenn es einvernehmlich ist und du einen Rahmen dafür hast, einen sicheren Raum, dann kannst du unbegrenzt viele Abenteuer erleben. Du kannst tun, was auch immer du willst.
Danke, Laura.
(Quelle: vice.com; März 9, 2015)