Zum Jubiläum feiert die „Regenbogenstadt Berlin“ ihren „Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ – und verpasst ihm endlich einen besseren Namen.
Von Robert Niedermeier
Der Weihnachtsmarkt ist voll am 10. Dezember. Das Riesenrad auf dem Rathaus-Vorplatz leuchtet in allen erdenklichen Farben des Regenbogens. Es duftet nach Süßem und Gegrilltem, weiland im Roten Rathaus der deutschen Hauptstadt die Festveranstaltung „Regenbogenstadt Berlin: 25 Jahre LSBTI-Politik des Senats“ beginnt.
Das 25-jährige Jubiläum des Referats und späteren Fachbereichs „für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“, eingerichtet 1989 auf Druck der Alternativen Liste (AL) im ersten rot-grünen Berliner Senat, eröffnet die SPD-Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. Im prächtigen Festsaal sagt Dilek Kolat über die in der Szene oft „Homo-Beamte“ genannten Referenten: „Der Internationale Tag der Menschenrechte ist ein guter Tag, um die Arbeit für Menschenrechte und Gleichbehandlung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen zu würdigen.“ Applaus von den Vertretern des Abgeordnetenhauses, Staatssekretären sowie von Referatsleitern, Mitgliedern der Verwaltung und der Berliner queeren Szene brandet auf.
Die knapp 2.000 gutgemeinte Wörter lange Jubiläumsrede zieht einen roten Faden von Pionieren der Gleichstellungspolitik wie Karl Heinrich Ulrichs aus dem 19. Jahrhundert über Kolats eigenen Erfahrungen von Diskriminierung bis zum Fall der Berliner Mauer. Inhaltlich und auch emotional ist das eine durchaus gelungene Ansprache: „1969 tauchten die ersten Regenbogenfahnen beim Begräbnis der Schauspielerin Judy Garland auf, eine Anspielung auf ihr bekanntestes Lied ‚Over the Rainbow‘, in dem es um einen Ort geht, an dem ‚alles besser und gerechter ist'“, redet sich die Senatorin in die Herzen der Homos und spricht ihnen ihren Dank und Anerkennung aus: „Ich weiß, dass viele von Ihnen, die hier heute Abend anwesend sind, in den letzten 25 Jahren sehr aktiv und engagiert für die Rechte und die gesellschaftliche Anerkennung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen gekämpft haben – sei es in den Selbsthilfegruppen und Projekten, in den politischen Zusammenschlüssen, in Gewerkschaften und anderen Institutionen der Zivilgesellschaft, in Politik und Verwaltung.“
Unter Rot-Rot hatten die „Homo-Beamten“ den meisten Rückenwind
Während draußen vor dem Rathaus weihnachtliche Düfte die nasskalte Luft schwängern, dominiert im Festsaal die Selbstbeweihräucherung: „Seit 2009, 2010 gibt es eine weitere beeindruckende Entwicklung in der LSBTI-Politik des Senats: das Berliner Abgeordnetenhaus hat die Initiative ‚Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt!‘ beschlossen und der Senat hat dazu ein umfangreiches Maßnahmenpaket vorgelegt“; berichtet die SPD-Politikerin aus der Ära des früheren rot-roten Senats. Dass gerade diese Errungenschaft unter dem rot-schwarzen Nachfolger auf Sparflamme läuft, führt Kolat nicht weiter aus.
Auch protestierende Zwischenrufe aus dem Auditorium fehlen in diesem staatstragend gesetztem Rahmen. Zu diesem Zeitpunkt sind nicht nur manchem Aktivisten die Augen bereits zugefallen. Was nicht ausschließlich der Rednerin anzukreiden ist: Die meisten Gäste waren zuvor schon bei der queeren Verabschiedung von Klaus Wowereit, bei der reichlich Sekt geflossen ist (queer.de berichtete). Ein langer Jubeltag neigt sich dem Ende zu.
Zum Schluss ihres langatmigen Referats, in dem Dielk Kolat den in Berlin besonders hohen Anteil an jungen Lesben, Schwulen und Transidenten hervorhebt, lauschen noch mal alle auf, als die SPD-Politikerin eine „längst überfällige Entscheidung“ ankündigt: „Der bisherige Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der Landesantidiskriminierungsstelle wird ab sofort „Fachbereich für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen – kurz LSBTI“ heißen.“ Erneuter Applaus – für eine Entscheidung, die, nebenbei bemerkt, mal wieder nichts kostet.
Podiumsdiskussion und Videobotschaften
Videobotschaften von Human Rights Watch und aus dem „unstoppable“ Wien mit Verweis auf den dort von Conchita Wurst moderierten ESC 2015 folgen, dann beginnt die mit Spannung erwartete, in zwei Parts aufgeteilte Talkrunde: „Die Grünen waren völlig überfordert mit dem Regieren, wir haben ihnen gezeigt, wie das richtig geht“, lästert auf dem Stehpodium Mann-o-Meter-Vorstand Rudolf Hampel. Der altehrwürdige Bürgerrechtler und LSVD-Bundesvorstand Manfred Bruns erzählt historisch wertvolle Anekdoten, und Kriminalhauptkommissar a.D. Heinz Uth spricht im schönsten Berlinerisch darüber, dass er als vom Senat geförderter Ansprechpartner für Lesben und Schwule bei der Berliner Polizei „alles alleine machen musste“. Damals, als der „ggLw“-Fachbereich noch in den Kinderschuhen steckte.
Tatsächlich ist Berlin mit der Integration homosexueller Emanzipationsarbeit in die Verwaltung ein Vorreiter; in Bereichen wie Schulaufklärung und Antigewalt-Projekten, später ergänzt durch das Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit sowie den Themen Trans- und Intergeschlechtlichkeit.
Die Szene musste von der Homo-Behörde erst überzeugt werden
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Harmonisch, wie vom Weihnachtszauber erfasst, geht’s dann in der Talkrunde der „Homo-Beamten“ weiter. Zu Gründungszeiten der ersten staatlichen Stelle Deutschlands, die sich um queere Belange kümmert, ging es dagegen noch hoch her. So wurde nur ein Jahr nach der Einführung in der Community über die Abschaffung des Referats gestritten. „Denn mit dem Verblassen seiner Symbolwirkung lassen sich seine minimalen Kompetenzen nicht länger verstecken“, kritisierte der heutige queer.de-Geschäfsführer Micha Schulze unter der provozierenden Überschrift „Schonzeit für Homo-Beamte vorbei“ im Oktober 1990 in der „taz“. Hauptkritikpunkt im Jahr der Deutschen Einheit war die mangelnde Basisnähe, geringe Kompetenzen und Konflikte zwischen den Mitarbeitern der Verwaltung und queeren Initiativen: „Über die Kompetenzen wird zwar mit dem Ausland und der CDU, nicht aber mit den Projekten der Stadt geredet“, schimpfte der AL-Abgeordnete Dieter Telge und forderte eine Umschichtung der finanziellen Mittel der „obersten Homo-Landesbehörde“ hin zu Basisprojekten.
Nach vier Jahren hatte sich der Begriff „Homo-Beamte“ in der Berliner Szene dann vollends durchgesetzt. Die vom Senat aber lediglich angestellten „Beauftragten“ wie Claus Nachtwey genossen mittlerweile mehr Vertrauen der Berliner LGBT-Gemeinde, aber mit politischen Erfolgen konnten sie kaum glänzen: „Es ist vielleicht einer unserer größten Erfolge, dass die CDU nicht mehr offen gegen uns auftritt“, zog der frühere Referatsleiter Stefan Reiß 1994 in der „taz“ Bilanz. Geradezu allergisch reagierte Suleika Bergmann-Pohl von der „Allgemeinen Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft“ (AHA) gegen „Staatsknete“ und schnaubte damals, man wolle sich nicht „wie die Leute vom Mann-O-Meter“ korrumpieren lassen. ‚Ein paar Mark von den Homo-Beamten für neues Mobiliar hat die AHA freilich nicht ausgeschlagen‘, wie „taz“-Autor Micha Schulze damals süffisant anfügte.
Tatsächlich wurden die „Homo-Beamten“ auch unter dem Regierenden CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen niemals in Frage gestellt, seit 2007 ist der Fachbereich offizieller Teil der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung. Und auch das Verhältnis zur Community gilt mittlerweile als gut. Derzeit werden zehn Berliner Initiativen mit einer Gesamtsumme von 750.000 Euro gefördert – vom Aufklärungsprojekt ABqueer e.V. über die Lesben- und Schwuenberatung bis hin zu TransInter Queer e.V. Darüber hinaus haben die Homo-Beamten zahlreiche Handreichungen und Studien veröffentlicht. Für derzeit lediglich drei Mitarbeiter – Lela Lähnemann, Florencio Chicote und Cosmo Martin Dittmar-Dahnke – eine beachtliche Bilanz.
25 Jahre „symbolische Wirkung“ und „Staatsknete“
Als wichtiges Thema für die Zukunft wird im Roten Rathaus u.a. die Bildungsarbeit genannt. So belaste die homophobe Kampagne der „Besorgten Eltern“, wie Gesprächsleiterin Ute Hiller es ausdrückt, das gesellschaftliche Stimmungsbild. „Das bestimmte Gruppen und renommierte Medien mit falschen Tatsachenbehauptungen Ängste schüren, ist ein Skandal“, meint auch Jörg Litwinschuh von Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Und Saideh Saadat-Lendle von der lesbischen Migrantinnen-Initiative LesMigraS kritisiert eine fortdauernde Ausgrenzung von nicht-weißen LGBT.
Doch völlig ohne positive Ergebnisse sind 25 Jahre „symbolische Wirkung“ und „Staatsknete“ freilich nicht geblieben. Der Redebeitrag von Mari Günther macht das an diesem Jubiläumsabend deutlich. Die Projektleiterin der Beratung für trans- und intergeschlechtliche Menschen bei der Schwulenberatung Berlin sieht merkbare Fortschritte im Bewusstsein der Bevölkerung. „Früher kamen Betroffene allein zu uns, um Hilfe zu suchen, heute werden sie von ihren Eltern begleitet, die ihre Kinder unterstützen.“
Die Solidarisierung ist gewachsen. Deutschland hat – auch dank der „Homo-Beamten“ – dazu gelernt.
Links zum Thema: » Homepage des Berliner Fachbereichs für gleichgeschlechtliche Lebensweisen |