Die erste schwule Kiosk-Zeitschrift wird 100

Die erste schwule Kiosk-Zeitschrift wird 100

Am 13. August 1919 – heute vor hundert Jahren – erschien zum ersten Mal „Die Freundschaft“. Sie war die erste Homosexuellenzeitschrift der Weimarer Republik und die erste, die auch am Kiosk zu kaufen war.

Das erste Heft der „Freundschaft“ (1919) mit seiner programmatischen Schlagzeile über den Paragrafen 175 StGB, der homosexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte

„Die Freundschaft“ (1919-1933) erschien am 13. August 1919 mit einer Startauflage von 20.000 Exemplaren, die sich kontinuierlich gesteigert haben soll. Über eine Auflage von 40.000 bis 50.000 Exemplaren ist sie vermutlich aber nicht hinausgekommen. Sie hat mit dazu beigetragen, dass sich eine homosexuelle Publizistik etablieren konnte, die während der Weimarer Republik rund 20 bis 30 unterschiedliche Zeitschriften hervorbrachte.

Die „Freundschaft“ hatte eine Vorreiterrolle, was auch dadurch deutlich wird, dass 1922 zwei Konkurrenzblätter („Freundschaft und Freiheit“; „Uranos“) in der „Freundschaft“ aufgingen. Es war der Beginn einer Massenpublizistik, die eine eher wissenschaftliche Publizistik (Magnus Hirschfeld, das WhK und das „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“) und diejenige einer eher elitären Bewegung (Adolf Brand und „Der Eigene“) hinter sich ließ.

Von 1919 bis 1923 erschien die „Freundschaft“ wöchentlich und steigerte ihre Seitenzahl von zunächst 4 auf später 16 Seiten. Vor der Inflation betrug der Preis meistens 10 Pfennig pro Blatt, also zum Beispiel 40 Pfennig für 8 Seiten. Im Vergleich zu Tageszeitungen war sie damit recht teuer, was von einigen Käufern kritisch angemerkt wurde.


Ein Kioskverkäufer in Berlin, der auf beiden Zeitungsständern jeweils auf der linken Seite (in der Mitte) auch die „Freundschaft“ zum Verkauf anbot (um 1928)

Die Promis und die Macher – vom WhK bis zu Kurt Hiller

Die wichtigste Person hinter der „Freundschaft“ war der Herausgeber und Verleger Karl Schultz, der später auch als Versandbuchhändler mit Fotos und Büchern in Erscheinung trat. Ab Juli 1928 erschien die „Freundschaft“ im Phoebus-Verlag von Kurt Eitelbuß. Der verantwortliche Redakteur war zunächst Max H. Danielsen (1920 bis 1922), der später von Georg Plock abgelöst wurde. Wichtig für den Erfolg der Zeitschrift waren auch prominente Aktivisten wie Ferdinand Karsch-Haack, Kurt Hiller und Richard Linsert, die die „Freundschaft“ mit Beiträgen unterstützten. Alle diese Männer hatten eine Nähe zur frühen Homosexuellenbewegung, sei es durch Tätigkeit im „Deutschen Freundschaftsverband“ (DFV) oder auch über persönliche Kontakte.


Einer der „Macher“ der „Freundschaft“ war der Chefredakteur Georg Plock, der sich auch im WhK an der Seite von Magnus Hirschfeld engagierte

Zu Beginn wurde die Zeitschrift auch vom „Wissenschaftlich humanitären Komitee“ (WhK) unterstützt, das sich als erste homosexuelle Interessenvertretung weltweit schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für Schwule und Lesben engagierte. Der Vorsitzende Magnus Hirschfeld unterstütze die Macher der „Freundschaft“ später auch vor Gericht. Als die Verantwortlichen wegen „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ vor Gericht standen, bescheinigte er in einem Gutachten, dass das Interesse der „Freundschaft“ darin bestehe, gleichgeschlechtliche Beziehungen auf eine höhere Stufe zu heben.

In der „Freundschaft“ veröffentlichte Hirschfeld in den Jahren 1922/1923 in insgesamt 53 Folgen auch autobiografische Texte über die Geschichte der Homosexuellen seit der Wilhelminischen Zeit, die 1986 unter dem Titel „Von einst bis jetzt“ als Buch erschienen. Von der Aufbruchstimmung nach dem Sturz der Monarchie und dem Beginn der Demokratie profitierte das WhK allerdings wesentlich weniger als die neu gegründeten Vereine. Die Bewegung hatte sich verändert, und andere homosexuelle Interessenverbände wie der DFV hatten deutlich mehr Zulauf als das WhK.

Zielgruppe und Vernetzung

Mit der Zeitschrift wurden nicht Schwule und Lesben, sondern meistens „Freunde und Freundinnen“ angesprochen. Freundschaft als Metapher für Homosexualität zu verwenden, war für die Homosexuellenbewegung der Zwanzigerjahre (und später in den Fünfzigerjahren) typisch. Einige spätere Hefte trugen Untertitel wie „Monatsschrift für ideale Freundschaft“ oder – etwas deutlicher – „Monatsschrift für den Befreiungskampf andersveranlagter Männer und Frauen“. In ihren Überschriften – insbesondere zum Paragrafen 175 StGB wie „Aufhebung des § 175“ (Heft 1) – machte die Zeitschrift jedoch unmissverständlich deutlich, für wen sie das Sprachrohr sein wollte.

Mit ihren Beiträgen trug „Die Freundschaft“ entscheidend zur Bildung lokaler Freundschaftsbünde in vielen Städten und zur Vernetzung dieser Gruppen bei. Die diversen Freundschaftsbünde, die sich 1919 und 1920 gründeten, schlossen sich im August 1920 zum „Deutschen Freundschaftsverband“ (DFV) als Dachverband zusammen. Dadurch wurde „Die Freundschaft“ auch zum Organ des DFV, der sich 1923 in „Bund für Menschenrecht“ (BfM) umbenannte. Nach Gründung des DFV im August 1920 nannte die Zeitschrift sich im Untertitel „Offizielles Organ des Deutschen Freundschaftsverbandes“. Möglicherweise geschah dies auch, um als vermeintlich internes Vereinsblatt für die Zensur weniger angreifbar zu sein.

Politik – „Was wir wollen!“

Die Zeitschrift hatte zwei politische Hauptziele: die Abschaffung des Paragrafen 175 StGB und die Aufklärung über Homosexualität. Im ersten und zweiten Heft gab die Redaktion unter der Überschrift „Was wir wollen!“ ihre Anliegen und Ziele so bekannt:

Die Freundschaft
– will allen freidenkenden Freunden und Freundinnen ein aufklärender, belehrender und unterhaltender, in trüben Stunden aufrichtender guter Freund und Berater in allen Lebenslagen sein.
– will die Interessen der freidenkenden ledigen Personen in jeder Weise vertreten.
– will allen denjenigen, welchen durch wirtschaftliche Verhältnisse oder [aus] sonstigen Gründen der ersehnte ideale freundschaftliche Verkehr erschwert wird, ein Vermittler sein.
– vertritt den Standpunkt der freien Selbstbestimmung und Verfügung des erwachsenen Individuums über sich selbst.
– will kein Skandal- und Sensationsblatt sein, sondern eine auf idealer Grundlage aufgebaute, mit dem Zuge der Zeit gehende, aufklärende, freidenkende Wochenzeitschrift.

Die Sprache wirkt aus heutiger Sicht antiquiert, pathetisch, idealisiert und in Bezug auf Homosexualität auch chiffriert. Es erscheint allerdings auch glaubhaft, dass das Interesse der Macher nicht nur darin bestanden haben mag, mit der Zeitschrift Geld zu verdienen.

Redaktionelles

„Die Freundschaft“ thematisierte häufig die rechtliche Situation von Homosexuellen, zum Beispiel die diversen Versuche, den Paragrafen 175 zu streichen. Auch die gesellschaftliche Situation wurde regelmäßig beleuchtet. Für die Leser-Blatt-Bindung bot die Redaktion ab der ersten Ausgabe auch „Rat und Aufklärung“ an. Die „Freundschaft“ enthielt sexualwissenschaftliche Berichte und Artikel über gleichgeschlechtliche Sexualität in anderen Kulturen und anderen Epochen. Deutsche und internationale Presseartikel wurden zitiert bzw. nachgedruckt. Darüber hinaus wurden auch wissenschaftliche und belletristische Literatur, Theateraufführungen und Filme besprochen, und es wurde über Veranstaltungen in verschiedenen Städten informiert. Es ging meistens um Schwule und Lesben, manchmal auch um Trans- und Intersexuelle.

Wie beim Film „Anders als die Andern“ ging es in der „Freundschaft“ auch um schwule Kultur. In einem kurzen Beitrag (1920, Heft 28) wird auf eine „geschlossene Vereinsvorstellung“ des Films im Juli 1920 in Koblenz bzw. Bonn verwiesen. Dass der Film in einer geschlossenen Veranstaltung gezeigt wurde, lag daran, dass er einige Monate zuvor für öffentliche Vorführungen verboten worden war. Von diesem weltweit ersten Film über Homosexualität geht immer noch eine große Faszination aus. Mittlerweile ist er liebevoll restauriert auch als DVD erhältlich. Zum 100. Jubiläum der Erstaufführung habe ich vor kurzem hier auf queer.de einen Artikel über diesen Film veröffentlicht.

Belletristik, Kunst und Werbung


Ein nackter Mann auf der Titelseite der „Freundschaft“ (1924, Heft 8)

Prosa und Lyrik bekannter und unbekannter zeitgenössischer und klassischer Autoren bildeten eine weitere Säule der „Freundschaft“. Dabei wurden Romane häufig über mehrere Ausgaben fortgesetzt. Offenbar durch veränderte Reproduktionsverfahren ermöglicht, nahm ab Mitte der Zwanzigerjahre die Zahl der Abbildungen zu. In seltenen Fällen wurden auch dezente Aktfotos und Aktzeichnungen veröffentlicht.

Man spürt, dass moderne Medien auch die schwule Welt verändern. Wie wir heute über die technischen Möglichkeiten digitaler Medien staunen, staunte man früher über Filme wie „Anders als die Andern“ und über Tonträger. „Das lila Lied“ – eine Hymne der Homosexuellenbewegung – erschien auf Schallplatte und wurde in der „Freundschaft“ auch als Klaviernotendruck mit Text zum Kauf angeboten.


Werbung für die Noten des „Lila Liedes“ in der „Freundschaft“ (1920, Heft 39)

Zur Finanzierung der Zeitschrift trugen auch Werbeanzeigen bei, die von Zahnarztpraxen über Fotoateliers bis zu Gaststätten reichten. Eine Werbung für das „Nettesheim-Casino“ (1920, Heft 20) in Köln wirkt recht unscheinbar – wie eine von hunderten Gaststätten für Homosexuelle. Aber diese Anzeige ist heute der Beleg für die älteste namentlich bekannte schwule Gaststätte in Köln, die als „langjähriger Treffpunkt“ auf sich aufmerksam machte, in dem auch die „Freundschaft“ gelesen werden konnte.


Werbung in der „Freundschaft“ für das „Nettesheim-Casino“ in Köln – wo auch die „Freundschaft“ auslag (1920, Heft 43)

Basierend auf dieser Werbeanzeige habe ich Fotos dieses Lokals am Kölner Rudolfplatz gesucht und gefunden (PDF, S. 65).

Leserbriefe und die Bewegung

Zur Rekonstruktion schwulen Lebens sind heute auch die in der „Freundschaft“ abgedruckten Leserbriefe unverzichtbar. Zwei Leserbriefschreiber aus Köln stützen die Annahme, dass es mit dem Nettesheim zunächst nur ein schwules Lokal in Köln gab: „Seit einem Jahr ist hier eine kleine Kneipe das Stammlokal, wo man jeden Abend zusammenkommt, ein anderes Lokal besteht für uns nicht“ (1919, Heft 20). Ein zweiter Leserbriefschreiber aus Köln geht auf diese eine Kneipe ein, in die sich mancher scheue hineinzugehen (1920, Heft 26).

Die Hauptstadt der Bewegung war Berlin, dessen Sogwirkung in der gesamten Republik zu spüren war. Deswegen ist es umso erstaunlicher, dass sich die Zeitschrift sehr viel Mühe gab, auch die vielen anderen Städte einzubinden. Viele Leserbriefschreiber schauten neidisch auf die Hauptstadt mit ihrer großen Szene. Peter aus Köln: Hier „sind wir noch weit zurück mit der Organisation der Freunde und Freundinnen. […] Ein Zeichen das Berlin schon weiter voraus ist. Sehr zu wünschen wäre es, wenn wir hier mehr orientiert würden von Berlin“ (1919, Heft 8). Damals war Köln noch weit davon entfernt, eine Hochburg für Schwule und Lesben zu sein.


Leserbrief in der „Freundschaft“, in dem sich ein Kölner über Berlin äußert (1919, Heft 18)

Kontaktanzeigen

Es gibt Publizisten, die davon ausgehen, dass es vor allem die Kontaktanzeigen gewesen seien, die Schwule und Lesben zum Kauf dieser Zeitschrift reizten. Die Kontaktanzeigen in der „Freundschaft“ habe ich von August 1919 bis Dezember 1920 für Köln näher untersucht. Dabei habe ich rund 80 schwule Kontaktanzeigen aus Köln gefunden. In anderer Form als heute verdeutlichen sie, welche Attribute und Eigenschaften den Homosexuellen früher als wichtig erschienen, was sich in den Alters- und Berufsangaben sowie in den Hinweisen auf soziale Stellung und Attraktivität wiederspiegelt.

In der Partnerbeschreibung werden als gewünschte Eigenschaften häufig Treue und Aufrichtigkeit angegeben. Es wäre jedoch falsch, diese Angaben durchweg als authentisch anzusehen. Mehr als heute arbeitete man mit Chiffrierungen – schließlich wollte die Redaktion keine Strafanzeige wegen „Kuppelei“ riskieren und die Leserschaft keine Erpresser auf sich aufmerksam machen. Weil es aufgrund der Kontaktanzeigen aber doch oft zu Erpressungen kam, wurden sie später nur noch separat an Abonnenten verschickt.

Ein interessantes Beispiel für vergleichsweise leicht dechiffrierbare Äußerungen bildet eine Kontaktanzeige für eine „Kameradschafts-Ehe“. Hier ist die Rede von einer „Heirat v.[or] d.[er] Welt“ und von einer Witwe, „welche mich versteht“. Das sind gleich drei typische Chiffrierungen, die den Wunsch nach einer arrangierten Scheinhochzeit zum Ausdruck bringen.


Eine typische Kontaktanzeige für eine heterosexuelle Scheinehe in der „Freundschaft“ (1920, Heft 17)

Elmar Kraushaar stellt in seiner „taz“-Kolumne „Der homosexuelle Mann“ (2014) eine gewagte Verbindung her – zwischen den Kontaktanzeigen in der „Freundschaft“ (mit dem Hinweis: keine „Dielenbesucher“ = Szenegänger) und den heutigen Dating-Portalen („willige Arschvotze“ und „Tunten zwecklos“). Die schwule Welt hat sich verändert – sie ist vor allem schneller und deutlicher geworden.

Zensur und Verbote

Von Anfang an war die „Freundschaft“ von der Zensur bedroht. Gleich nach den ersten beiden Ausgaben wurde sie ohne Angabe von Gründen verboten. Karl Schultz benannte „Die Freundschaft“ in „Der Freund“ um, ab dem vierten Heft erschien sie wieder unter dem ursprünglichen Titel.


Die Zensur der „Freundschaft“ führte beim dritten Heft zur Umbenennung in „Der Freund“ (1919, Heft 3)

Zwischen 1919 und 1923 wurden mindestens fünf Gerichtsverfahren gegen die „Freundschaft“ angestrengt, die zu drei Verurteilungen führten. Meistens ging es um die „Verbreitung unzüchtiger Schriften“, aber auch um „unerlaubte Herausgabe einer Zeitschrift“ und bei den Kontaktanzeigen um „Kuppelei“. Gegen ähnliche Kontaktanzeigen heterosexueller Personen in der Presse ging die Polizei nicht vor. Dabei waren die beanstandeten Kontaktanzeigen eigentlich entsexualisiert und beinhalteten allenfalls vorsichtige Äußerungen über Körpergröße, Statur oder Haar- und Augenfarbe.

Die Tatsache, dass die „Freundschaft“ anfangs auch am Kiosk verkauft wurde, kann nicht über die Grenzen der Liberalität der Weimarer Republik hinwegtäuschen. Aus Angst vor Strafverfolgung und Verurteilungen erschien die „Freundschaft“ ab August 1928 nur noch im Abonnement und eben nicht mehr im Straßenverkauf.

Lesben und Trans*

Die Zeitschrift wurde von Männern geprägt und gemacht. Frauen bzw. Lesben bleiben in der Zeitschrift wie auch in der gesamten Bewegung dieser Zeit unterrepräsentiert. Von August 1919 bis Dezember 1920 habe ich für Köln nur eine Kontaktanzeige von „2 Freundinnen“ gefunden – im Vergleich zu den oben genannten 80 Kontaktanzeigen für schwule Männer.

Auch hier zeigt sich, dass sich lesbische Geschichte wesentlich schlechter dokumentieren lässt und oft im Dunklen bleibt. Man kann sich darüber freuen, dass sie – im Gegensatz zu schwulen Männern – nie strafrechtlich verfolgt wurden, was aber nicht als Zeichen von Akzeptanz falsch verstanden werden sollte.


Kontaktanzeige zweier Freundinnen (1920, Heft 41)

Im Oktober 1931 wurde in der „Freundschaft“ eine halbe Seite lang über den Tod einer Person mit spannender Biografie berichtet: „Das Lebensschicksal Lili Elbes. Der Mann, der zur Frau wurde“. Es ist nur ein langes Zitat aus der Berliner Presse, aber für die Leserschaft mussten diese wenigen Zeilen schon reichen, um sich eine Vorstellung zu machen, dass geschlechtsangleichende Operationen als grundsätzlich möglich erschienen.


Lili Elbe gehörte zu den ersten trans Menschen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen. Der Artikel zu ihrem Tod in der „Freundschaft“ (1931, Oktober)

Man vergleiche diese Zeit mit der unsrigen, in der wir visuell verwöhnt und manchmal sogar regelrecht medial überflutet werden. Mit einem Klick werden wir bei Wikipedia über Lili Elbe schon umfassend informiert und sehen hier auch ein Foto von ihr. Mit einem zweiten Klick können wir uns bei Youtube den Trailer über den bewegenden Film „The Danish Girl“ über Lili Elbes Biografie anschauen und mit einigen weiteren Klicks an gleicher Stelle diesen Film mal eben für 3,99 Euro kaufen. Das moderne Informationszeitalter macht es möglich. Was für ein Unterschied zu der Situation von 1931.

Das Ende der Zeitschrift – und der ganzen Bewegung


Das letzte Heft der „Freundschaft (1933, Heft 3)

In der Zeitschrift selbst wurde ihr Ende nicht angekündigt. Noch im Dezember 1932 berichtete die „Freundschaft“ optimistisch über die Weltreise von Magnus Hirschfeld, von der er ja bald zurückkommen werde. Auch in den ersten drei Monaten von 1933 gab es keine Hinweise über eine drohende Zensur.

Im März 1933 erschien die „Freundschaft“ zum letzten Mal. Olaf Zibell-Vieth betont in seiner Schrift „Die Freundschaft. Bibliographie einer Monatsschrift für die ideale Freundschaft aus der Weimarer Republik. Die Jahre 1927-1933“ (2017, S. 7) die durch Gerichtsprozesse bedingte schlechte wirtschaftliche Situation der Zeitung Anfang der Dreißigerjahre und baut darauf die Schlussfolgerung auf: Um das weitere Erscheinen der Zeitschrift zu unterbinden, waren „direkte Aktionen der Nazis nach dem 30. Januar […], da auch bisher nicht bekannt, gar nicht nötig“. Damit suggeriert er, dass sie unter besseren wirtschaftlichen Verhältnissen weiter hätte erscheinen können. Der genaue Ablauf der Zerschlagung der Zeitschriften ist tatsächlich lückenhaft dokumentiert.

Dass Ende alle Homosexuellenzeitschriften im März 1933 führt die Historikern Claudia Schoppmann in ihrer Dissertation auf einen preußischen Erlass zur Bekämpfung „unzüchtiger“ Schriften vom 7. März 1933 zurück. Weil die Zeitschriften alle in Berlin erschienen, waren sie alle von dem preußischen Erlass betroffen und direkte Einzelverbote wahrscheinlich tatsächlich unnötig. Die Verbände hinter den Zeitschriften wurden nicht direkt verboten, lösten sich jedoch unter dem Druck der Ereignisse schnell auf.

Die Zerschlagung aller homosexuellen Szene-Strukturen ab 1933 war ein Prozess, der in Berlin besonders früh und besonders scharf erfolgte. Auch die schon vorher geführten Prozesse gegen die „Freundschaft“ waren zumindest teilweise Ausdruck einer verschärften politischen Situation. Im März 1933 war aber nicht nur das Ende aller Homosexuellenzeitschriften, sondern auch das Ende einer ganzen Bewegung besiegelt. Der Besuch einiger noch vorhandener Treffpunkte war aufgrund der Strafverschärfung mit einer Gefahr für Leib und Leben verbunden. Aus berechtigter Sorge um sein Leben kehrte Magnus Hirschfeld von seiner Weltreise nicht mehr nach Deutschland zurück und starb 1935 im Exil.

„Die Freundschaft“ zum Vertiefen

Die für diesen Aufsatz wichtigste Quelle war der Online-Aufsatz von Stefan Micheler: „Zeitschriften, Verbände und Lokale gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik“ (2008, S. 1-72, hier S. 2-14), eine erweiterte Fassung eines Teils seiner Dissertation. Auch der Ausstellungskatalog „Goodbye to Berlin. 100 Jahre Schwulenbewegung“ (1997, S. 95-104) und die bereits erwähnte Schrift von Olaf Zibell-Vieth waren hilfreich. Verweisen kann ich auch auf einige Seiten meines Buches „Anders als die Andern. Schwule und Lesben in Köln und Umgebung 1895-1918“ (2006, S. 175-178 im PDF). Wer Lust zum Lesen bekommen hat, kann sich u.a. an das Schwule Museum (Berlin), an das Centrum Schwule Geschichte (Köln) und an die Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hamburg) wenden, wo alle Hefte (als Kopien) vorliegen.

Über die in Deutschland erschienene Zeitschrift gibt es zwar englische, französische und spanische Wikipedia-Artikel, einen deutschen gab es bisher nicht. Im Zusammenhang mit diesem Beitrag auf queer.de habe ich einen deutschsprachigen Artikel über die „Freundschaft“ auf Wikipedia initiiert, der vor einigen Tagen online gegangen ist.

Das Fazit

Bis 1933 gab es keine regionalen Homosexuellenzeitschriften – wenn man einmal von einzelnen kurzzeitig erschienenen Ausnahmen wie „Die Sonne“ (Hamburg) und „Der Seelenforscher“ (München) absieht. Viele Homosexuellenzeitschriften fokussierten sich auf Berlin. Aus diesem Grunde ist die „Freundschaft“ gerade für die Rekonstruktion des schwulen und lesbischen Lebens außerhalb Berlins ein unentbehrliches Hilfsmittel.

Aus der „Freundschaft“ lässt sich sehr gut die Entwicklung der Szene rekonstruieren, mit ihren Kneipen und Interessenverbänden, aber auch mit ihren Themen, ihren politischen Kämpfen und ihren Vorstellungen von einer besseren Zukunft. Die „Freundschaft“ – mit ihrem breiten Mix aus redaktionellen Beiträgen, Leserbriefen, belletristischen Darstellungen und Kontaktanzeigen – ist für mich einer der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis der Situation von Homosexuellen in der Weimarer Republik.

Vor allem in den ersten Jahren war sie die wichtigste Homosexuellenzeitschrift, die erst Anfang 1923 ihre Bedeutung als zentrales Organ der deutschen Homosexuellenbewegung verlor. Olaf Zibell-Vieth betont zu Recht: Was bis 1933 „von vielen Menschen im Kampf für gesellschaftliche Toleranz und gesetzliche Gleichstellung geleistet wurde, ist erstaunlich und verdient unbedingten Respekt“.

Quelle: queer.de (13.08.2019)

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