Formationstanz: Gleichgeschlechtliche Passagen in der Choreographie führen zur Disqualifikation!

Formationstanz:  Gleichgeschlechtliche Passagen in der Choreographie führen zur Disqualifikation!

Ein interessanter Beitrag von Kerstin Kallmann, der anhand des Umgangs der großen Tanzsportvereinigungen mit dem gleichgeschlechtlichen Tanzen noch einmal die traurige Realtität und das verzweifelte Festhalten der VerbandsfunktionärInnen an heteronormativen Traditionen widerspiegelt.

Frei nach dem Motto „Eine Ehe kann es nur zwischen einem Mann und einer Frau geben“. 

Wir haben den Beitrag von Kerstin  – „14 Sekunden – ein kurzer Traum und cooler Abschluss“  – den sie wie einen kleinen Fortsetzungskrimi an drei verschiedenen Terminen in dem Blog unserer Tanzpartnerin pinkballroom veröffentlichte, redaktionell bearbeitet und zu einem Beitrag zusammen gefasst.  Für unsere LeserInnen (unten denen sich ja viele Freizeit- oder BreitensporttänzerInnen befinden, die mit Turnierabläufen usw. nicht allzu vertraut sind), haben wir ihn inhaltlich entsprechend angepasst und optisch aufbereitet.

Schauplatz der Auseinandersetzungen sind die im Oktober abgehaltenen Europameisterschaften, sowie die im November durchgeführten Deutschen Meisterschaften und Welt-Meisterschaften im Standard-Formationstanzen.

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14 Sekunden – ein kurzer Traum und cooler Abschluss

Formationstanzen kennen wir von unseren EuroGames, GayGames und OutGames.  Ach stimmt:  Die gemischtgeschlechtlich Tanzenden machen das auch … Und da passieren durchaus eigentümliche Dinge.

So im Oktober 2015 in Polen auf der Europameisterschaft der gemischtgeschlechtlichen Standard-Formationen:  Zwölf Mannschaften aus sieben Nationen tanzten.  Eine davon, DSV Dance Impression aus den Niederlanden, präsentierte ihre neue Choreografie „Imagine“ und vertantzte John Lennons Musiken – grundsätzlich ein durchaus zweifelhaftes Vergnügen.

Aber in Minute 02:40 passiert es:  Ganze 14 Sekunden tanzen die acht Paare von DSV Dance Impression gleichgeschlechtlich!!!  Und die 700 Zuschauer_innen danken es mit dem größten Szenenapplaus für die Kür, und sie schaffen es auf den vierten Platz.  Wie cool!!!



 

 

 

Und dann gab es im November die Deutsche Meisterschaft (DM) im Formationstanzen …

Zunächst die gute Nachricht:  Es gab noch eine zweite Formation, die gleichgeschlechtliche Elemente in die Choreo aufgenommen hat:  Die Formationsgemeinschaft FG TTC Rot-Weiss-Silber Bochum/TSZ Velbert wollte mit ihrer Choreographie „Herzschlag“ zum Gedenken an ihren Team-Kollegen, der an einem Krebsleiden verstarb, „auch gleichgeschlechtliche Paare thematisieren“.  An einer Stelle sollten Männer mit Männern und Frauen mit Frauen tanzen.

Offensichtlich trifft der Equality-Tanzsport auch im Mainstram-Tanzsport einen ganz aktuellen Nerv. Es gibt Menschen, die Equality als Bereicherung begreifen und – in den wenigen Stellen, wo es die Regularien zulassen – einfach einbauen.  Es schien so einfach….

Doch dann die schlechte Nachricht:  Am Vorabend von der DM erhielten Bochum/Velbert vom Deutschen Tanzsport-Verband (DTV) die Information, dass dieser Passus zur Disqualifikation führen würde, so dass sie kurzfristig einen anderen Passus einstudieren mussten – und nur einen für sie enttäuschenden 4. Platz erreichten.

Kurzes Interview mit der Trainerin Astrid Kallrath zu dem Vorfall:


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Und auch die World Dance Sport Federation (WDSF) entschied plötzlich, alle Formationen zu disqualifizieren, die gleichgeschlechtliche Passagen darbieten – vielleicht sogar auf Drängen deutscher Offizieller?

Die Niederländer_innen stellten daraufhin ihre Choreographie zur WM am 28. November (in Ludwigsburg) um.  Sie „beugten“ sich den Regeln und wurden somit nicht disqualifiziert, sondern tanzten im Finale auf den 6. Platz.  Und schon wird aus dem vormals harmlosen Formationstitel „Imagine“ von John Lennon („Imagine all the people… living life in peace“) eine politische Aussage.
Auf ihrer Website schreiben sie:  „Imagine will however continue to represent freedom, justice, peace and equality for everyone …  We are proud of our show, especially in these horrible times.  Whatever happens, we will shine our light of peace at the World Championships in Ludwigsburg.”

Am 28. November haben die DSV Dance Impression ihre WM getanzt.  Sie stellten ihre Choreographie um, „beugten“ sich den Regeln und wurden somit nicht disqualifiziert, sondern tanzten im Finale auf den 6. Platz.

 

War das alles?

Nein, das war nicht alles!  In der Abschlusspose passierte wieder was Eigentümliches, Unerhörtes gar…, aber diesmal Regelkonformes …   SCHMATZ!!!


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 DSV Dance Impression – Abschlusspose bei der WM

Bei der EM in Polen gab es für die 14 Sekunden gleichgeschlechtlichen Formationstanzens bereits einen außerordentlichen Szenenapplaus  – und diesmal bei der WM stehende Ovationen für die Abschlusspose!

 

Auch wir waren stolz!

Stolz darauf, kleine Trends zu setzen und damit erstmals wahr genommen zu werden im Mainstream-Tanzsport.
Und wir waren hoffnungsfroh, dass der Equality-Tanzsport als eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung des Mainstream-Tanzsport erkannt wurde – wenn auch erst von Einzelnen.
Die Enttäuschung nach dem Wochenende der beiden Entscheidungen ist umso größer.  Darf sich der Tanzsport wirklich nicht weiter entwickeln?  Darf er nicht vielfältiger werden?

 (Kerstin Kallmann auf dem Blog von pinkballroom: Eintrag vom 19.11.2015, mit Ergänzung vom 22.11.2015 und Nachtrag vom 30.11.2015.  Redaktionell bearbeitet von GleichTanz / Günther Schon)

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