Warum die Diskriminierung Homosexueller weiter Alltag ist

Warum die Diskriminierung Homosexueller weiter Alltag ist
Eine Million Menschen werden zum CSD am Sonnabend erwartet. Trotzdem ist die Diskriminierung von Homosexuellen noch nicht überwunden.
Als Bernd Gaiser, 70, Gründer des Wohnprojektes „Lebensort Vielfalt“ zum ersten Mal für die Rechte von Schwulen auf die Straße ging, waren homosexuelle Handlungen noch verboten. Nur ein paar hundert Menschen trauten sich, offen zu protestieren. Seitdem hat sich viel geändert.

Zur Parade des Christopher Street Day am Sonnabend werden mehr als eine Million Teilnehmer erwartet (Wir berichten im Liveticker).

Jörg Steinert, 33, Bürgerrechtler und Geschäftsführer vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, besuchte zum ersten Mal eine CSD-Parade, als sich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit bereits geoutet hatte. Ein Gespräch zwischen Generationen über Probleme, die überwunden scheinen – und über die Diskriminierung einer Minderheit, die weiterhin zum Alltag gehört.

Berliner Morgenpost: Herr Gaiser, Herr Steinert, was ist Ihre erste Erinnerung an die CSD-Parade in Berlin?

Bernd Gaiser: Ich fühlte mich befreit. Im Jahr 1979, zur ersten CSD-Parade, gingen wir offen auf die Straße. Darauf hatten wir die ganze Zeit gewartet. In den 70er-Jahren hatte sich viel getan für die Schwulen-Bewegung, wir mussten keine Angst mehr haben. 1973 dagegen, zur ersten Schwulen-Demo in Berlin, hatten sich teilnehmende Lehrer zur Tarnung noch Kapuzen aufgesetzt, weil sie um ihren Job fürchteten. Einige Passanten riefen: ‚Die Nazis haben vergessen, euch zu vergasen‘.


Jörg Steinert:
Mein erster CSD war 2002, wenige Monate nach meinem Coming-Out, ich stand am Straßenrand und war stolz darauf, in einer Stadt zu leben, in der es einen CSD gibt. Ein Jahr zuvor hatte ich gerade meinen Zivildienst in meiner Heimatstadt Zwickau beendet und wollte zum Studium erst nach Bamberg ziehen. In diese Zeit fiel das Coming-Out von Klaus Wowereit und ich entschied mich für Berlin.

Worum geht es Ihnen bei der diesjährigen CSD-Parade?

Gaiser: Heute fühle ich mich angekommen. Meiner Generation ging es vor allem um die Abschaffung des Paragrafen 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Das Outing von Klaus Wowereit im Jahr 2001 war der krönende Abschluss dessen, was wir 30 Jahre lang aufgebaut hatten. Nun setze ich mich dafür ein, dass ältere Menschen sichtbarer werden beim CSD.

Herr Steinert, sind Sie auch angekommen?

Steinert: Ich habe nie eine staatliche Verfolgung fürchten müssen, das unterscheidet mich von Bernd. Wobei ich es als Unrecht empfinde, dass die nach 1945 verfolgten Homosexuellen bis heute nicht rehabilitiert sind. Zudem wollen wir keine Sonderrechte, sondern gleiche Rechte. Niemand muss heiraten, aber wir wünschen uns die Möglichkeit, eine Ehe einzugehen. Deshalb freue ich mich, dass erstmals beim CSD auch Regenbogenfamilien vertreten sind. Die Generation der Kinder gehört genau so dazu wie die ältere.

Berlin hat gerade Schlagzeilen gemacht mit dem Streit von CDU und SPD um die Homo-Ehe. Herr Geiser, hätten Sie damals eigentlich an Ehe gedacht?

Gaiser: Das war undenkbar. Bevor ich 1967 nach Berlin kam, habe ich meinen Dienst bei der Bundeswehr abgerissen. Dort habe ich einen jungen Mann kennen gelernt, der auffällig wurde aufgrund sexueller Kontakte mit einem anderen. Beide sind unehrenhaft entlassen worden, aber das war nicht das Schlimmste. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage und dieser Mann war so in Mitleidenschaft gezogen, dass er sich umgebracht hat. Dieses Erlebnis war meine Motivation, öffentlich dafür einzutreten, solches Unrecht zu verhindern.

Steinert: Heiraten entspringt romantischen Gefühlen, aber auch dem Wunsch, sich abzusichern. Verantwortung füreinander und auch für Kinder zu übernehmen. Schwule und Lesben auszuschließen, das ist so willkürlich als würde man sagen: Bayern dürfen keine Ehe, sondern nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen, weil die Bayern irgendwie anders sind.

Empfinden Sie Wut?

Gaiser: Natürlich empfanden wir damals eine Art Wut. Wenn es heute um die Gleichstellung der Ehe geht, ging es uns damals als Minderheit um eine Gleichstellung mit der Mehrheitsgesellschaft.

Steinert: Mich ärgert, wenn in Talkshows immer wieder Menschen eingeladen werden, die offen homophob sind. Ich frage mich, ob so manche Person zum demokratischen Meinungsspektrum gehört.

Wo spüren Sie heute Ausgrenzung?

Gaiser: Ausgrenzung spüren besonders Menschen, die ihr Schwulsein versteckt haben. Es gibt viele Menschen, die bis heute darunter leiden, sogar noch, wenn sie in ein Pflegeheim ziehen. Weil sie davor Angst haben, vor ihren Mitbewohnern diskriminiert zu werden. Darum gibt es jetzt in Berlin den „Lebensort Vielfalt“ – das Mehrgenerationenwohnprojekt der Schwulenberatung.

Steinert: Das Schöne an Berlin ist, dass Schwule und Lesben zum Stadtbild gehören. Schlimm ist aber, wenn man sich selbst reglementieren muss: Wo lasse ich lieber die Hand meines Partners los, weil mir Gewalt droht? Warum maßt sich jemand an, mich anzupöbeln, weil ich mit meinem Freund durch die Stadt laufe? Dass passiert in Berlin, es sind Erfahrungen, die Heterosexuelle so nicht machen. Das schwule Überfalltelefon Maneo registriert jedes Jahr mehr als 200 Übergriffe, die Dunkelziffer ist noch viel größer.

Gaiser: Ich finde sogar, dass man heute weniger Schwule in der Öffentlichkeit sieht als noch vor ein paar Jahren. In der Zeit von AIDS ist die schwule Community enger zusammengerückt. 1987 schlug Peter Gauweiler vor, mit dem HI-Virus Infizierte laut Bundesseuchengesetz bundesweit in Quarantänelagern zu internieren und auszugrenzen. Was glücklicherweise Rita Süßmuth als Mitglied der Regierung Helmuth Kohls verhindert hat. Da haben wir ein Bewusstsein füreinander entwickelt, das war auch mit einem Trotz verbunden: Wir sind schwul, und das ist auch gut so.

Geschlossenheit ist nicht immer zu beobachten: vergangenes Jahr fielen die Organisatoren des CSD mit internen Streitereien auf.

Gaiser: Der Begriff „queere Community“ geht mir immer noch schwer über die Lippen. Früher waren die Schwulen und die Lesben für sich, beide Gruppen pflegten höchstens diplomatische Beziehungen (lacht). Weil die Lesben damals eher an der Frauenbewegung orientiert waren. Was sich im Verhältnis zueinander glücklicherweise seitdem verändert hat. Aber schon damals gab es heftige Debatten. Heute ist sie so vielfältig, dass es mich wundern würde, wenn es keinen Zoff gäbe.

Steinert: Streitereien schweißen auch zusammen – in diesem Jahr läuft alles sehr harmonisch. Ich würde mir aber wünschen, dass die Medien die Vielfalt auch zeigen und eben nicht nur die buntesten Kostüme.

Gaiser: Zum CSD gehört auch eine Selbstdarstellung, die nicht traurig sein sollte. Neu am ersten CSD war, dass Lesben und Schwule nicht mehr im Gleichschritt unter roten Fahnen, sondern tanzend unterwegs waren.

Steinert: Schön ist, dass sich ein breites gesellschaftliches Spektrum von Initiativen, Organisationen und Unternehmen am CSD beteiligt.

Herr Steinert, wenn Ihnen jemand sagt: Die wichtigen Kämpfe für Gleichberechtigung sind heute geschlagen – was antworten Sie?

Steinert: Die Vielfalt Berlins ist sehr schön, aber birgt auch Spannungen. Gerade wenn man die Religionsgemeinschaften betrachtet: Einige entwickeln sich weiter, andere bleiben stehen. Ich bin Protestant und finde es gut, dass die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz beschlossen hat, keinen Unterschied mehr zwischen dem Segnungsgottesdienst für homosexuelle Paare und dem Traugottesdienst für heterosexuelle Paare zu machen. Das zeigt, dass Religionen, die häufig als Antithese zur Homosexualität angeführt werden, eine Vereinbarkeit sehen können. Andererseits: die katholische Kirche bleibt bei einer menschenfeindlichen Sexualpolitik. Die konservativen muslimischen Verbände haben eine ähnliche Strategie entwickelt, nach dem Motto: Wir haben nichts gegen Homosexuelle, aber der homosexuelle Akt ist eine Sünde.

Gaiser: Ich käme nie auf die Idee, zu heiraten. Aber ich bin zu der Einstellung gelangt: So lange die Ehe besteht, müssen Schwule und Lesben ein Recht darauf haben. Mit Anfang 20 war es logisch für mich, aus der katholischen Kirche auszutreten. Ich würde gern sehen, dass es auch in Italien eine Mehrheit für die Homo-Ehe gibt wie in Irland – und schauen, wie der Vatikan reagiert.

Steinert: Die katholische Kirche macht einem die Ablehnung aber auch leicht. Ich persönlich habe immer ein liberales Spektrum der evangelischen Kirche erleben dürfen. Mit dem Pfarrer aus meiner sächsischen Heimat spreche ich gelegentlich, wir sind oft einer Meinung. Das ist bemerkenswert, gerade in Sachsen, wo es viele Evangelikale gibt, die behaupten, dass Homosexualität eine heilbare Krankheit sei.

Der CSD ist eher eine Veranstaltung der Jugend. Wünschen Sie sich mehr Sichtbarkeit von älteren Homosexuellen?

Gaiser: Es gibt wenig Kontakt zwischen älteren und jüngeren Schwulen. Früher habe ich versucht, ein Motto für die älteren Menschen beim CSD einzubringen. Inzwischen denke ich, wir müssen uns selber sichtbar machen. Deshalb treten wir seit drei Jahren mit wachsendem Erfolg als Rikscha-Gruppe auf.

2013 wurde die CDU ausgeschlossen, aufgrund der Parteiposition zur Homo-Ehe. War das richtig?

Gaiser: Alle demokratischen Parteien sollten dabei sein.

Steinert: Wer ausschließt, bewegt nichts. Ich war damals in Russland, als in Berlin darüber diskutiert wurde. Die Aktivistinnen dort haben mir von den Repressionen erzählt. Als ich denen berichtet habe, worüber gerade in Deutschland diskutiert wurde, haben sie gesagt: ‚Ihr habt ja Probleme.‘ Das zeigt, wie viel wir schon erreicht haben.

(Quelle: morgenpost.de, 27.06.15)

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