Wie ein schwuler Ugander zu „Mister Tutzing“ wurde

Wie ein schwuler Ugander zu „Mister Tutzing“ wurde

Michael Kyejjusa musste aus Uganda fliehen, weil er wegen seiner Homosexualität verfolgt wurde. Über Umwege kam er nach Tutzing an den Starnberger See, wo er ein neues Zuhause fand. Heute ist Michael fast schon ein richtiger Bayer. Vor einem Jahr wurde er sogar zum „Mister Tutzing“ gewählt.

Sie haben es geschafft!„Im Herzen bin ich Bayer“: Wie ein schwuler Ugander zu „Mister Tutzing“ wurde

Am Anfang war Michael vor allem eines: verwirrt. Darüber, was mit ihm passiert. Wieso er am Frankfurter Flughafen festgehalten und befragt wird. Was diese Männer in blauen Uniformen von ihm wollen, die in einem kleinen Raum in einer fremden Sprache viel zu schnell auf ihn einreden. Wieso er erst in eine Stadt namens Gießen, dann nach München, dann in einen kleinen Ort namens Tutzing gebracht wird. Ob er dort bleiben darf.

 Zwei Jahre später sitze ich mit Michael Kyejjusa auf einer Bank am Bahnhof von Possenhofen in der Nachmittagssonne. Der 27-Jährige ist gerade von der Arbeit gekommen, er ist dick eingepackt in mehrere Pullis und eine sportliche Jacke, die Kapuze hat er sich über den Kopf gezogen.

Michael verlor seine Eltern im Alter von zehn Jahren

Warme Kleidung ist wichtig für Michael, gerade in diesen Oktobertagen. Als Mitarbeiter einer Gärtnerei ist er viel an der frischen Luft unterwegs. Und so ganz hat er sich an die deutschen Jahreszeiten mit ihren kühlen Temperaturen noch nicht gewöhnt.

Michael kommt aus Uganda. Genauer gesagt: aus einem kleinen Dorf nahe der ugandischen Hauptstadt Kampala. Mit zehn Jahren verlor er seine Eltern, fünf Jahre später seine Großmutter. Seine ältere Schwester war die einzige Familie, die ihm blieb. Sie wusste, was sonst keiner wissen durfte: Michael ist homosexuell.

In Uganda ist Homosexualität ein gesellschaftliches Tabu

Schwulenfeindlichkeit ist in Uganda weit verbreitet, Homosexualität gilt als Tabu. 2013 brachte Präsident Yoweri Museveni ein Gesetz auf den Weg, das lebenslange Haftstrafen für Homosexuelle vorsah und Bürger dazu verpflichten sollte, Schwule und Lesben anzuzeigen.

Zwar sollten die Richter des Verfassungsgerichts von Uganda das Gesetz ein Jahr später kippen. Doch das Misstrauen Schwulen gegenüber nistete sich weiter in der Gesellschaft ein.

Dann passierte es: Michael wurde denunziert. Plötzlich war er ein Staatsfeind, ein Krimineller. „Ich wurde verfolgt und musste mich verstecken“, erzählt er. Die Situation wurde für ihn unerträglich. Michael beschloss, seine Heimat zu verlassen. „Ein Bekannter hat mir geholfen, Tickets zu kaufen und ein Flugzeug nach Deutschland zu nehmen“, sagt er. „Ich hatte großes Glück.“

Von Frankfurt geht es weiter nach München

Im Juli 2013 erreichte Michael den Frankfurter Flughafen. „Ich hatte nie zuvor ein einziges Wort Deutsch gehört“, sagt Michael. Keine Sprachkenntnisse, kein Geld, keine Familie oder Freunde – „es war eine Katastrophe“.

Vier Tage lang wurde er von der Polizei am Flughafen festgehalten und befragt, dann brachte man ihn gemeinsam mit zwei anderen Flüchtlingen ins hessische Gießen, von dort nach München und schließlich nach Tutzing im Kreis Starnberg.

Flüchtlinge, Tutzing, Integration, Starnberger See

Michael Kyejjusa „Mister Tutzing“ Michael Kyejjusa in seinem Gewinner-Outfit.

Dort lebt er seit jenen Tagen der Unsicherheit, der Hilf- und Ratlosigkeit. Man sieht Michael das immer noch an. Erzählt er von seiner Flucht aus Uganda, legt sich ein Schatten über seine braunen Augen und das strahlend weiße Lächeln, mit dem er mich vorhin begrüßt hat, verschwindet. Aber nur für einen Moment. Nur bis ich ihn frage, ob er sich mittlerweile in Deutschland angekommen fühlt.

„Ich war ein Fremder, aber die Leute haben für mich gestimmt“

„Deutschland ist jetzt mein Zuhause“, sagt er, und da ist das breite Lächeln wieder. „Im Herzen bin ich Bayer!“ In den Freistaat hat sich Michael bis über beide Ohren verliebt. In die Landschaft, das Bier – obwohl er nicht viel davon verträgt – in die Lebensart und die Menschen.

Und die Zuneigung scheint von beiden Seiten auszugehen. Im Sommer 2014, nur ein gutes Jahr nach seiner Flucht, passierte etwas, mit dem Michael niemals gerechnet hätte: Der junge Mann aus Uganda wurde zum „Mister Tutzing 2014“ gewählt. „Davon hätte ich nicht einmal geträumt“, erzählt er heute. „Ich komme aus einem fremden Land, und die Leute haben trotzdem für mich gestimmt, das war ein Wunder.“

Momentan macht Michael seinen Führerschein

Der ehemalige Vize-Bürgermeister Hubert Hupfauf hatte Michael auf dem Tutzinger Volksfest „entdeckt“ – und ihn überredet, an dem Modelcontest teilzunehmen. Die Bilder zeigen Michael mit neun anderen Männern auf der Bühne, der 27-Jährige ist die Nummer acht.

Flüchtlinge, Tutzing, Integration, Starnberger See

Karsten Thost / JM Tutzing Die Nummer acht hat ihm Glück gebracht: Michael Kyejjusa und seine Konkurrenten.

Während die meisten in kurzen Lederhosen daher kommen, trägt Michael Trachtenhut, Hemd, den sogenannten Janker, eine traditionelle bayerische Jacke – und eine normale Anzughose. „Eine Lederhose will ich mir auch noch kaufen“, beteuert der Ugander. Und er will lernen, richtig Bayerisch zu sprechen. Damit er seinem Amt als „Mister Tutzing“ Ehre macht.

Michael hat viele Pläne. Im Augenblick macht er seinen Führerschein, den ihm sein Arbeitgeber finanziert. Abends besucht er schon den theoretischen Unterricht. Und er will boxen gehen, das hat er schon in seiner Heimat Uganda leidenschaftlich gern gemacht. Vielleicht will er weiter modeln.

Michaels Asylverfahren läuft noch

Nur eine Sache schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen und trübt die Vorfreude auf das, was noch kommt: sein Asylverfahren, das noch nicht abgeschlossen ist. Auch nach mehr als zwei Jahren weiß Michael noch nicht, ob er bleiben darf. „Das bringt mich manchmal um den Schlaf“, sagt er.

 Denn bleiben will er so gern. Michael Kyejjusa aus Uganda hat am Starnberger See ein neues Zuhause gefunden. Deshalb hat er eine Botschaft an die vielen Menschen, die aus dem Nahen Osten oder Nordafrika nach Deutschland kommen: „Ihnen will ich sagen: Seid gute Menschen, respektiert das Land und gebt etwas zurück. Das ist es wert.“

Quelle: focus.de, (28.10.2015)

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