Thomas Hitzlsperger ein Jahr nach dem Coming-out:
Vor genau einem Jahr bekannte sich Thomas Hitzlsperger öffentlich zu seiner Homosexualität. Sein Coming-out war das erste im internationalen Profifußball. Wie er nun als schwuler Ex-Fußballer lebt.
In den letzten zwei, drei Jahren meiner Karriere war mir bewusst, dass es eine Tatsache ist, dass ich nicht nur oft an Männer denke, sondern ich möchte mit einem Mann leben.“ Mit seinem öffentlichen Coming-out Anfang letzten Jahres sorgte Thomas Hitzlsperger weltweit für Schlagzeilen. Noch nie hatte jemand darüber gesprochen, wie es ist, als Profifußballer schwul zu sein, kaum jemand hatte sich dazu bekannt. Die Welle, die er mit seinem Bekenntnis ausgelöst hat, war noch größer als er erwartet hatte. „Es kamen ein paar tausend Mails“, erzählt der 32-Jährige. „Da war alles dabei: persönliche Geschichten, Leute, die mir gedankt haben, dass ich darüber gesprochen habe, Leute, die sagen, sie trauen sich nicht, sie haben nicht den Mut, den ich aufgebracht habe.“ Doch auch Kritik habe es gegeben, damit habe er gerechnet.
Thomas Hitzelspergerwar von 2000 bis 2013 Fußballprofi, u. a. in England bei Aston Villa, beim VfB Stuttgart und zuletzt in der deutschen Nationalmannschaft, für die er 52 Länderspiele bestritt. Nach Pausen und Verletzungen beendete der damals 31-Jährige im September 2013 seine Karriere. Im Januar 2014 bekannte sich Thomas Hitzlsperger als erster prominenter deutscher Fußballer öffentlich dazu, schwul zu sein – und sorgte damit für eine neue Debatte über Homosexualität im Profisport. Weitere Informationen:www.thomas-hitzlsperger.de
Tatsächlich galt die Bundesliga bis dahin als schwulenfreie Zone. Dass im Team einer auf Männer steht – undenkbar. Seit ihrer Gründung vor 51 Jahren gab es rund 5500 Bundesligaspieler, aber nur einen, der offiziell schwul ist: Thomas Hitzelsperger. Homosexualität werde im Fußball ignoriert, die Szene begreife sich in Teilen immer noch als Machowelt, schrieb Hitzlsperger damals in einer persönlichen Stellungnahme. Das Bild eines schwulen Spielers werde von Klischees und Vorurteilen geprägt, deswegen wolle sich kaum ein Profisportler dem Druck aussetzen. „Es gibt Leute, die mir ernsthaft gesagt haben, Schwule können nicht Fußball spielen“, so Hitzlsperger. „Und das war mir wichtig, dass die Leute sehen und merken: Man kann schwul sein und es bis in die Nationalmannschaft schaffen.“ Oft werde der Ausdruck „schwul“ in der Fußballszene, von Fans oder von den Massen im Stadion auch missbräuchlich eingesetzt für alles was schlecht ist, was schwach ist. In der Hinsicht müsse noch aufgeklärt und sensibilisiert werden.
Das Gefühl erst nach Jahren zugelassen
Thomas Hitzlsperger ist Nesthäkchen einer Großfamilie aus Forstinning bei München. Seit er sechs Jahre alt war spielte er im Verein, wollte von Anfang an Fußballprofi werden. Als 18-Jähriger ging er nach England. Weil er hart schießt, wurde sein Spitzname „Hitz the Hammer“. 2005 kam er zum VfB Stuttgart und wurde mit seiner Mannschaft 2007 Deutscher Meister. In dieser Zeit trennten er und seine langjährige Freundin Inga kurz vor der geplanten Hochzeit – etwas stimmte nicht mehr. Dass er sich zu Männern hingezogen fühlt, verdrängte der Fußballer lange: „Das hat sich ein paar Jahre hingezogen und dann, als ich alleine gelebt habe, dachte ich ‚Nein, das spielt eine größere Rolle. Es ist nichts woran ich einen Tag denke und dann verwerfe ich es wieder. Das Gefühl ist stärker‘. Und dann habe ich das Gefühl erst zugelassen.“
Trotzdem war es für Thomas Hitzlsperger anfangs schwierig, seine Homosexualität in Deutschland zu leben, wie er sagt. Seine ersten Erfahrungen in der Schwulenszene habe er deshalb in San Francisco gemacht: „Das schwule Leben in einer Stadt wie San Francisco ist eine viel größere Selbstverständlichkeit, als ich bisher in Deutschland erlebt habe. Ich habe die Zeit genossen und dann auch jemanden kennengelernt“, so Hitzlsperger im Gespräch mit Steffen Hallaschka. Der Fußballprofi begann dort erstmals eine Beziehung mit einem Mann. In Liverpool, wo Thomas Hitzlsperger damals spielte, zogen sie zusammen. „Ich hab noch ein Jahr für den FC Everton gespielt und lebte in einer Beziehung, das war eine schöne Erfahrung.“ In der Öffentlichkeit zeigten er und sein Freund sich jedoch auch damals nie.
„Es ist nicht die große Veränderung, die sich viele Leute erhofft haben“
Schon als Spieler des VfL Wolfsburg habe er über ein Coming-out nachgedacht, doch sein engstes Umfeld habe ihm damals davon abgeraten. Seine Berater hätten Bedenken gehabt, „dass eine Riesenwelle lostritt, die man nicht aushält und unter der man zusammenbricht.“ Er selbst habe Angst gehabt, Ablehnung in der Mannschaft oder im Club zu erfahren. Thomas Hitzlsperger zögerte jahrelang, ob er es dennoch wagen sollte. Es habe an Vorbildern gefehlt, und es sei auch nicht darüber gesprochen worden. „Jetzt kann ich besser darüber reden und sagen: Die Leute sind nett zu mir, mir geht’s gut. Und ich merke, dass es gar keine so großen Vorurteile gibt.“
Als er sich wenige Monate nach seinem Karriereende dazu entschloss, wollte er die öffentliche Diskussion über Homosexualität im Profisport anregen. „Ich glaube, es haben sich gewisse Dinge verändert, das lese ich in vielen E-Mails, die ich bekomme, und ich höre es in persönlichen Gesprächen heraus“, sagt er. Obwohl er über seine positiven Erfahrungen öffentlich spreche, habe sich ihm bisher noch kein weiterer schwuler Fußballprofi oder ehemaliger Mannschaftskollege anvertraut. „Es ist nicht die große Veränderung, die sich viele Leute erhofft haben“, so Hitzlsperger bei stern TV. Immerhin habe es in den Zuschriften viele gegeben, die sich in ihren Sportvereinen getraut hätten zu sagen: Ich bin schwul – und jetzt geht das Leben weiter.
Für Thomas Hitzlsperger persönlich hat sein öffentliches Bekenntnis zu seiner Homosexualität viel verändert. „Insgesamt hat die Lebensqualität zugenommen, weil man überhaupt nicht mehr überlegen muss, wo man hingeht, wie die Leute reagieren. Das ist schön.“ Ein Jahr nach seinem Coming-out traut sich der 32-Jährige nun wieder einen Schritt weiter: Der weltbekannte Fußballer gab dem Schwulen-Magazin „Männer“ für ihre Januarausgabe ein Interview.