„Homosexualität darf in meinem Land nicht sein“
Homosexuelle Asylsuchende fühlen sich auch in Deutschland oft nicht sicher. Nicht selten werden sie in Flüchtlingsheimen bedroht. Nürnberg öffnet nun die erste Unterkunft für schwule und lesbische Asylbewerber.
Harzhir hat große Risiken auf sich genommen. Der 24-Jährige floh aus seiner Heimat und schlug sich bis nach Nürnberg durch. Er floh aus Nordiran, weil ihn dort seine eigene Familie umbringen wollte. Harzhir ist schwul. „Meine streng islamische Familie in Iran weiß das – deshalb will sie mich töten“, sagt der junge Mann.
Seine Angst ist allerdings in Deutschland nicht kleiner geworden: Wegen seiner Homosexualität werde er von anderen Flüchtlingen in der Sammelunterkunft diskriminiert, ausgelacht und verspottet. Harzhir schilderte das Problem den Mitarbeitern des schwul-lesbischen Zentrums Fliederlich in Nürnberg – und brachte damit den Stein ins Rollen: Seit Montag steht in Nürnberg eine Unterkunft speziell für homosexuelle Flüchtlinge zur Verfügung, die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland. In Berlin gibt es Pläne für ein ähnliches Projekt.Anfeindungen in den Massenunterkünften
Die Wohnung im Nürnberger Szeneviertel Gostenhof erstreckt sich über zwei Etagen. Sie besteht aus fünf Doppelzimmern und einer Küche zur Selbstversorgung. „Wir warten jetzt auf die Zuweisung der ersten Flüchtlinge“, sagt Fliederlich-Geschäftsführer Michael Glas. Der Verein setzt sich seit vielen Jahren für die Interessen von Homosexuellen in Mittelfranken ein und hat die Wohnung angemietet. Die Stadt Nürnberg erstattet die Mietkosten weitgehend.
„Wir wurden durch Harzhir erst auf die Probleme von homosexuellen Flüchtlingen aufmerksam, mittlerweile haben uns zwei Dutzend weitere Flüchtlinge um Hilfe gebeten“, berichtet Glas. Vor allem in Massenunterkünften komme es zu Anfeindungen. „Das reicht von Mobbing über Pöbeleien bis hin zu Bedrohungen und körperlichen Übergriffen.“
„Meine Cousins wollten mich töten“
Dafür verantwortlich seien zumeist die eigenen Landsleute. Harzhir kann das bestätigen – er werde vor allem von Flüchtlingen aus Iran angegangen. „Homosexualität darf in meinem Land nicht sein“, erklärt er. „Meine Cousins wollten mich an einen anderen Ort bringen, mich töten und dann in einem Wald verscharren.“
Geschäftsführer Glas ergänzt: „Manche Moslems sehen in der Anwesenheit von homosexuellen oder transsexuellen Menschen in den Unterkünften einen Affront.“ Deshalb entschloss sich der Verein zu handeln und mietete die Räume an.
Die Hilfsorganisation Pro Asyl begrüßt das Projekt. „Wir sind generell für eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen“, sagt Sprecherin Marei Pelzer. „Große Einrichtungen können für besonders Schutzbedürftige besonders problematisch werden – dazu zählen neben Kindern und Schwangeren sicher auch Homosexuelle.“ Eine weitere Unterkunft für schwule und lesbische Flüchtlinge soll voraussichtlich im März in Berlin öffnen. Schwulengruppen in Frankfurt und München prüfen laut Glas, ob sie ebenfalls Immobilien anmieten können.
„Wir werden hier gequält“
Es sind keine Einzelfälle. Dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) wurden im vergangenen Jahr von August bis Dezember knapp hundert Fälle von Gewalt gegen homosexuelle Flüchtlinge gemeldet. Sie hätten sich zumeist in Flüchtlingsunterkünften ereignet, heißt es in einer Mitteilung des Verbands.
Wer in die Nürnberger Unterkunft für homosexuelle Flüchtlinge umziehen darf, entscheiden die Stadt Nürnberg und die Regierung von Mittelfranken, sagt Glas. Für den Iraner Harzhir kommt der Start der Wohngruppe zu spät: Er wurde kurz vor Eröffnung in ein anderes Bundesland verlegt.
Roland Beck, gam/dpa
(Quelle: spiegel.de, 01.02.16)