„Ehe für alle“ ist da!

„Ehe für alle“ ist da!

Aus der gedruckten Tagesspiegel-Ausgabe vom 02.10.2017

Etliche Journalisten und Kameramänner
drängeln sich am Sonntagmorgen imRathaus
Schöneberg um die besten Plätze.
Es ist stickig, viele Gäste sind noch etwas
müde, draußen beginnt es zu nieseln.
Eine Traumhochzeit, könnte man jetzt
mäkeln, sieht anders aus. Aber dies hier
ist ein Traum für viele homosexuelle
Paare, ein Traum, der endlich Wirklichkeit
geworden ist. Bodo Mende und Karl
Kreile schließen um Punkt halb zehn die
bundesweit erste gleichgeschlechtliche
Ehe. Natürlich in Schöneberg, natürlich im Goldenen
Saal. Denn diese Hochzeit soll ein Zeichen
setzen, es ist ein historischer Moment.
Dafür öffnet auch das Standesamt
ausnahmsweise am Sonntag. „Das
hier ist wichtig für uns, aber auch für andere
homosexuelle Paare“, sagt Bodo
Mende,während er dieHand seines Mannes
hält.
Zehn weitere gleichgeschlechtliche
Berliner Paare konnten es ebenfalls kaum
erwarten und heirateten an diesem erstenTag,
an dem das Gesetz zur Gleichstellung
der Ehe in Kraft tritt. Erst im Sommer
hatte es der Bundestag verabschiedet.
Zuvor war es schwulen und lesbischen
Paaren seit 2001 nur möglich, eine
eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen.
Mende und Kreile waren 15 Jahre
„verpartnert“, zusammen sind die beiden
seit 38 Jahren. Einen Hochzeitsantrag
gab es darum nicht. „Für uns war gleich
klar, wir heiraten.“ Ihre Nachnamen behalten
sie aber, und sie wollen auch weiterhin
getrennt leben.
Als der Hochzeitsmarsch erklingt und
dieZwei den mitRegenbogenwimpeln geschmückten
Saal betreten, bricht Blitzlichtgewitter
aus. Hier und da gibt es
feuchte Augen. „Ein toller Moment, da
bleibt man nicht cool“, sagt Bodo Mende
später. Dass er hier stehe, hätte er bis vor
wenigen Monaten nicht gedacht. Aber
nun darf er – und will auch. Denn sein
Partner, erzählt er, sei immer für ihn da.
„Und ich kann mich bei ihm anlehnen“,
sagt Karl Kreile und grinst.
Nachdem sie sich das Ja-Wort geben,
folgt ein filmreifer Kuss, Applaus und Jubel
im Saal, das Paar winkt den Gästen
zu, die eine lange Schlange bilden, um
ihre Glückwünsche loszuwerden. Auch
ins Goldene Buch des Bezirks tragen sich
die Eheleute ein. „Das ist nicht irgendein
Paar, die beiden haben so lange aktiv dafür
gekämpft, dass wir das hier heute erleben
dürfen“, sagt Bezirksbürgermeisterin
Angelika Schöttler (SPD).
Sie trägt zur Feier des Tages nicht nur
die klobige, goldene Amtskette, sondern
auch eine Halskette in den Farben des Regenbogens.
50 Anmeldungen für gleichgeschlechtliche
Eheschließungen gibt es
bereits in Tempelhof-Schöneberg, in vielen
Fällen geht es wie bei Bodo Mende
und Karl Kreile darum, eingetragene Lebenspartnerschaften
umzuschreiben. Einen
Ansturm homosexueller Paare auf
Berlins Standesämter wird es nach Einschätzung
des Lesben- und Schwulenverbandes
(LSVD) aber nicht geben.
Für das Paar der Stundewar es einweiterWegbis
zurEhe.Schon1979warensie
gemeinsam beim ersten Berliner Christopher
Street Day dabei, sie engagieren sich
für die Rechte Homosexueller, Bodo
Mende sitzt im Landesvorstand des
LSVD.Istjetztalleserreicht,wofürHomosexuelle
undUnterstützer jahrzehntelang
gekämpft haben? Mende schüttelt den
Kopf. „Wir müssen uns weiter gegen
Homo- und Transphobie stellen. Es kann
nichtsein,dassSchwuleundLesbenangegriffenwerden,
wennsieinderÖffentlichkeit
Händchen halten. Es kann nicht sein,
dass sie beleidigtwerden.“
Auch LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert,
der als Trauzeuge dabei war, sieht
weiter Handlungsbedarf. „Die katholische
Kirche zieht noch immer nicht am
gleichen Strang wie wir.“ Immerhin, die
evangelische Landeskirche traut seit Sommer
2016 homosexuelle Paare, siewar damit
dem Gesetzgeber einen Schritt voraus.
Und lesbische Mütter, ergänzt Steinert,
warten weiterhin auf die Möglichkeit,
Kinder, die ihre Partnerin zur Welt
gebracht hat, unkompliziert als ihre anzuerkennen
– so wie es Männern in heterosexuellen
Partnerschaften möglich ist.
Doch immerhin: Eine wichtige Etappe
ist nun geschafft. Nachdem die Ehe für
alle geschafft ist, haben BodoMende und
Karl Kreile an diesem Tag nur noch eine
Aufgabe – die Torte für alle anschneiden.

 

 

Antwort hinterlassen