Wem gehört das Equality-Tanzen? – oder: Queer Dancing ist für alle da!

Wem gehört das Equality-Tanzen? – oder: Queer Dancing ist für alle da!

GleichTanz.de, das Fachorgan für gleichgeschlechtliches und gleichberechtigtes Paartanzen in Berlin, freut sich immer wieder über Diskussionsbeiträge zu unserem Lieblingsthema, nämlich der Frage nach einer gleichgeschlechtlichen Tanzästhetik:  Gibt es eine solche und wenn ja, wodurch zeichnet sie sich aus …. und wie unterscheidet sie sich von der gemischtgeschlechtlichen ??

In diesem Sinne haben wir selbst schon einige Beiträge verfasst und solche von anderen Autor*innen veröffentlicht, u.a. vor längerer Zeit auch einen anregenden Beitrag unserer Leserin Lula Witzescher. 

In ihrem neuen Beitrag auf GleichTanz.de, „Wem gehört das Equality-Tanzen? …“, wird die Frage der Normen und der normbildenden Strukturen aufgeworfen und damit die Diskussion zur gleichtanz-Ästhetik noch ein Stück weitergeführt.
Aber keine Angst: der Artikel von Lula liest sich leichter als dieser unser schwülstiger Vorspannsatz!  😉  

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2016 erschien im Programmheft zur Berlin Open mein Artikel „Über die (begrenzte) Freiheit, aus der Rolle zu tanzen“. Ich bedauerte darin, dass die Frauenpaare sich mehr und mehr dem gemischtgeschlechtlichen Tanzen angleichen, während die Männerpaare immer gleicher aussehen. Und ich bedauerte das Verschwinden des Führungswechsels. Mittlerweile ist das Tauschen der Rolle während des Tanzes so selten geworden, dass schon aus dem Publikum die Frage kam: „Ist denn das erlaubt, was die da gerade gemacht haben?“

Ich bekam sehr viel Dank dafür, diese Themen angesprochen zu haben und manche sagten, ich hätte ihnen besonders mit meiner Aussage, dass die Paare selber über das gezeigte Maß an Heteronormativität entscheiden, aus der Seele gesprochen. Ich wollte damit die Tänzer_innen anregen, über ihre Bilder und ihr Handeln zu reflektieren, doch stieß ich damit nicht durchweg auf Begeisterung. Nicht alle Aktiven wollen den Raum des Equality Tanzsport nutzen, um Konventionen zu brechen. Manche wollen einfach Sport treiben und gewinnen. Doch was bedeutet das für den Sport?

"Ja, sie hätte es schon schwer zu führen, wenn sie nichts sehen kann. Aber wer hat versprochen, dass es leicht sein wird?"

„Ja, sie hätte es schon schwer zu führen, wenn sie nichts sehen kann. Aber wer hat versprochen, dass es leicht sein wird?“

Der DVET (Deutschen Equality-Tanzsport Verband) ersann damals die „Aktion Führungswechsel“. Der Führungswechsel sollte (auch dem Publikum) bekannter werden, aber ebenso sollten sich die Paare wieder mehr damit auseinanderzusetzen. Nach Auswertung einer ausführlichen Meinungsumfrage ist der DVET zurückgerudert und hat den Plan eines verpflichtenden Führungswechsels wieder aufgegeben.

Die ablehnenden Reaktionen, die ich auf meinen Artikel bekommen habe, zeigten, dass dieses Thema die Seelen offensichtlich tiefer als gedacht berührte. Einige fühlten sich regelrecht von mir angegriffen und erklärten mir, warum sie zum Beispiel in festen Rollen tanzten. Sie tanzten erst so kurz zusammen, sie hätten nicht die Muskulatur zum Folgen, die Partnerin kenne die Choreographie noch nicht und könne deshalb nicht führen … alles gute Argumente. Doch Muskulatur lässt sich aufbauen, eine Choreographie lässt sich lernen und wenn ein Paar die Frack-Kleid-Kombination überdenkt, dann öffnen sich neue Wege und Möglichkeiten. Wenn frau denn will.

Ein häufig vorgebrachtes Argument war die Beschneidung der Freiheit der Paare. Seltsam mutet jedoch an, dass die bisher ausgelebte Freiheit zu einem immer weniger diversen Bild im Sport geführt hat. Ist die selbst gewählte Beschneidung der Möglichkeiten die neue Freiheit? Und was ist mit der Freiheit der anderen? Wenn eine Frau gerne mal die Prinzessin spielen und sich dafür in ein Rauschekleid werfen möchte, dann soll sie es auch tun dürfen. Wenn eine Frau oder ein Mann sich gerne einen Frack anzieht, soll sie oder er es auch tun. Aber passiert, wenn die Mehrheit dies tut?

"... aber irgendwie geht´s doch ..."

„… aber irgendwie geht´s doch …“ (©Lula Witzescher)

Für mich ging es gar nicht um den Führungswechsel, Verbote und Pflichten. Für mich ging es von Anfang an um die Frage: Für wen ist eigentlich Raum im gleichgeschlechtlichen Tanzen? Wer nimmt sich welchen Raum? Und wer wird dadurch verdrängt? Schon vor meinem ersten Turnier vernahm ich kopfschüttelnd den Kommentar eines Tänzers: „Und dann kommen wieder die Heteros und nehmen uns die Medaillen weg.“

Für mich war gleichgeschlechtlich nie gleich schwul/lesbisch, für mich war gleichgeschlechtlich zuallererst ein neues Konzept neben dem althergebrachten. Natürlich hat das gleichgeschlechtliche Tanzen in der Lesben- und Schwulengemeinde seine Wurzeln, aber es heißt nicht Lesbisch-Schwules-Tanzen. (Im Grunde heißt es „Frauen- und Männerpaare“, aber das ist durch die neu eingeführte Möglichkeit, dass Transpersonen an Turnieren teilnehmen können, ja auch schon eine überholte Bezeichnung.)

Es ist immer leichter, einem gewohnten Bild zu entsprechen als aus diesem herauszufallen. Je mehr Menschen dem gewohnten Bild folgen, desto schwerer wird es für die anderen, mit ihren Vorstellungen dort ihren Platz zu finden. Fragen wir doch einmal einen der Tänzer, wie es ist, mit Pumps und rosa Chiffonfähnchen anzutreten in einem ansonsten schwarzbefrackten Feld. Oder fragt mal eine Zwei-Meter-Frau, was sie so zu hören bekommt, wenn ihre 25 Zentimeter kleinere Tanzpartnerin führt.

Wenn also nicht alle das gleiche Recht haben und die bildbestimmenden Tänzer_innen ihr Handeln nicht reflektieren, dann stehen automatisch einige dumm da. Und andere bleiben weg, weil sie sich zunehmend unwohl und fehl am Platze fühlen. Angesichts der nicht unbedingt steigenden Zahlen an Aktiven, sollten sich alle Beteiligten fragen, ob sie nicht wieder mehr Menschen ein wertschätzendes, diverses Umfeld bieten wollen.
Ganz sicher sind nur zwei Dinge: Der Sport ist in dieser Form noch jung und in ständiger Veränderung. Und niemals werden alle Beteiligten einer Meinung sein.

"Und einen Versuch ist es auf alle Fälle wert!"

„Und einen Versuch ist es auf alle Fälle wert!“ (©Sabine Karkó)

Doch ob es um zukünftige Regelungen zum Führungswechsel geht oder dass der Sport für Transpersonen geöffnet worden ist oder ob gemischtgeschlechtliche Paare in umgekehrten Rollen mittanzen dürfen: Die Diskussionen müssen in Gang bleiben. Immer wieder sollte neu ausgelotet werden, wo die Community steht und welche Regeln als angemessen gelten können. Dafür sollten sich möglichst viele immer wieder in diese Diskussionen einbringen, sich vielleicht auch in ein Amt wählen lassen, egal welchen Standpunkt sie vertreten.

Mir gefällt die Idee von „queer“ eigentlich am besten. Und zwar in der Definition von Brandon Wint: “Not queer like gay. Queer like escaping definition. Queer like some sort of fluidity and limitlessness at once…” Jedes Mal, wenn ich Tanzpaare sehe, ohne dass ich auch nur ein einziges Mal die Assoziation von männlich oder weiblich habe, geht mir das Herz auf. Ich würde mir wünschen, dass von dieser Idee noch viel mehr auch ins Queer Equality Dancing einfließen würde.

Die Autorin Lula Witzescher, Berliner Meisterin D-Klasse Latein 2009, kämpft im Netz für alle Formen von „Equality“:  twitter.com/LulaWitzescher

 

 

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