Diese Entscheidung dürfte auch den Druck auf die deutsche Politik erhöhen: Das höchste amerikanische Gericht hat entschieden, dass Schwule und Lesben im Ehe-Recht nicht diskriminiert werden dürfen. In Deutschland sind für den frühen Abend Feiern vor US-Botschaften und Konsulaten geplant.
Von Dennis Klein
Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat am Freitagmorgen um 10 Uhr Ortszeit (16 Uhr MEZ) mit fünf zu vier Stimmen das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben für verfassungswidrig erklärt. Das Verbot verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, so die knappe Richtermehrheit. Bislang enthalten noch 14 der 50 Bundesstaaten Schwulen und Lesben das Recht auf Ehe vor; sie alle müssen nun gleichgeschlechtliche Paare heiraten lassen.
In der von Richter Anthony Kennedy verfassten Mehrheitsmeinung heißt es: „Keine Verbindung ist tiefgreifender als die Ehe. Sie verkörpert Liebe, Treue, Hingabe, Opferbereitschaft und Familie. […] Die Kläger haben für gleiche Würde vor dem Gesetz gebeten. Die Verfassung gewährt ihnen dieses Recht.“ Das Wort „Würde“, das freilich auch in der deutschen Verfassung eine zentrale Rolle einnimmt, wird in der Urteilsbegründung rund 30 Mal erwähnt. Laut der Mehrheit ist die Ehe als Zweierbeziehung ein Bürgerrecht, das Kinder und Familien schützt und der Grundpfeiler der gesellschaftlichen Ordnung sei – dieses Recht dürfe Menschen nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung vorenthalten werden.
Die vier Richter, die die Entscheidung nicht mittragen wollten, haben teils empört auf die Entscheidung reagiert. So merkte Richter Antonin Scalia, der als konservativster Jurist am Supreme Court gilt, apokalyptisch an, das Urteil sei eine „Gefahr für die amerikanische Demokratie“. Chefrichter John Roberts erklärte in seiner Minderheitenmeinung: „Das Grundrecht auf Ehe beinhaltet nicht das Recht, einem Bundessstaat aufzuzwingen, dass er die Definition von Ehe ändern muss“. Dies sei Aufgabe von Parlamenten, nicht von Gerichten.
Ausschlaggebend für die Mehrheitsmeinung war der 14. Zusatzartikel der Verfassung, der ein Diskriminierungsverbot enthält. Er war 1868 nach dem amerikanischen Bürgerkrieg eingeführt worden. Der abstrakt formulierte Artikel sollte garantieren, dass Schwarzen nicht wegen ihrer Rasse die US-Staatsbürgerschaft verweigert werden kann. Später half dieser Verfassungszusatz auch Frauen und Homosexuellen: Mit diesem Artikel wurden 1973 die Abtreibungsverbote für verfassungswidrig erklärt („Roe v. Wade“).
Am 26. Juni 2003, also vor genau zwölf Jahren, entschied der Supreme Court schließlich, dass auch Sex-Verbote für Schwule und Lesben verfassungswidrig sind („Lawrence v. Texas“). Zu diesem Zeitpunkt hatten noch 14 von 50 US-Bundesstaaten sogenannte „Sodomy Laws“ – genauso viele wie bis zum Urteil Schwulen und Lesben die Ehe verboten haben.
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Vor dem Gerichtsgebäude jubeln LGBT-Aktivisten, als das Urteil verkündet wird |
„Obergefell v. Hodges“
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Das aktuelle Verfahren geht unter dem Namen „Obergefell v. Hodges“ in die Geschichte ein: Es ist benannt nach dem schwulen Witwer Jim Obergefell, der auf die Eintragung seiner Ehe in der Sterbeurkunde seines Ehemannes besteht. Die beiden hatten 2013 in Maryland geheiratet, wenige Monate bevor Obergefells Mann in Ohio an ALS, einer Erkrankung des Nervensystems, starb. Richard Hodges ist ein republikanischer Politiker, der als Mitarbeiter des Gesundheitsministerium von Ohio die Eintragung in die Sterbeurkunde abgelehnt hatte. Insgesamt lagen dem Supreme Court vier Fälle aus den Staaten Michigan, Ohio, Kentucky und Tennessee zur Entscheidung vor.
Erste Reaktionen
Wenige Minuten nach der Entscheidung begrüßte US-Präsident Barack Obama auf seiner Facebook-Seite das Urteil. Sein Kommentar: „Die Liebe hat gewonnen“. Auf Twitter wurde zudem das Logo des Weißen Hauses in Regenbogenfarben getaucht.
Gut einer Stunde nach der Urteilsverkündung erklärte Obama vor dem Weißen Haus, dass er sich über das Urteil freue. Es sei ein „Sieg für Amerika“, denn: „Wenn alle Amerikaner gleichbehandelt werden, sind wir alle freier.“
Auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton begrüßte das Urteil und dankte LGBT-Aktivisten für ihren Einsatz.
In einer ersten Reaktion zeigte sich auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) über die „historische“ Entscheidung erfreut und forderte die Bundesregierung auf, endlich zu handeln: „Das Urteil des Supreme Courts hat globale Strahlkraft für gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt. Kanzlerin Merkel führt mit ihrer Weigerung, die Ehe zu öffnen, Deutschland weiter in die Isolation gegenüber der westlichen Wertegemeinschaft“, erklärte LSVD-Sprecher Axel Hochrein. „Wir wollen keine Sonderrechte, sondern Gleichstellung. Wir wollen nicht eine spezielle ‚Homo-Ehe‘, sondern die Öffnung der Ehe!“
Der Grünenpolitiker Volker Beck erklärte, die USA hätten gezeigt, „dass es einer Demokratie nicht zusteht, einer Minderheit die gleichen Rechte zu verweigern.“ Jetzt sei auch Deutschland mit der Ehe für alle dran, so sein Appell an die schwarz-rote Bundesregierung.
„Mensch Mutti – gib dir ’nen Ruck!“
Auch die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) appellieren an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ihren Widerstand gegen die Ehe für alle aufzugeben: „Mensch Mutti – gib dir ’nen Ruck!“, heißt es auf der Facebook-Seite des LSU-Bundesverbandes.
Das Bündnis „Ehe für alle“, dem unter anderem der LSVD, die Deutsche Aids-Hilfe und „Enough is Enough“ angehören, hat für Freitag um 18 Uhr zu Party-Flashmobs vor US-Konsulaten in Deutschland aufgerufen – mehr Infos dazu am Ende der Seite.
Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, begrüßte die Entscheidung des obersten US-Gerichtshofes: „Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung erfolgt und die Diskriminierung bei der Eheschließung aufgrund der sexuellen Orientierung nunmehr in allen Bundesstaaten der USA abgeschafft […] Wir sollten diese Entscheidung zum Anlass nehmen, auch hier in Deutschland weiter offen über die Gründe der bestehenden Unterschiede zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft zu diskutieren – auch darüber, ob ein Festhalten an dieser Unterscheidung überholt ist.“
Video: (Direktlink) |
Präsident Barack Obama gratuliert Kläger Jim Obergefell live im Fernsehen |
Kritik von Konservativen
Es gibt aber noch politischen Widerstand gegen die Ehe-Öffnung in den USA: In den letzten Tagen und Wochen haben mehrere republikanische Politiker angekündigt, das Urteil nicht anerkennen zu wollen. Als einer der schärfsten Kritiker der Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben gilt Mike Huckabee, der ehemalige Gouverneur von Arkansas und republikanische Präsidentschaftskandidat. Er erklärte im Vorfeld der Supreme-Court-Entscheidung, dass die Ehe-Öffnung das Christentum „kriminalisieren“ würde und eine „Tyrannei der Justiz“ sei. Nach der Entscheidung nannte er das Urteil „verfassungswidrig“.
Auch mehrere weitere republikanische Präsidentschaftskandidaten zeigten sich in ersten Reaktionen geschockt. So nannte Bobby Jindal, der Gounverneur von Louisiana, das Urteil einen „Angriff auf die Religionsfreiheit und auf Christen“.
Bryan Fischer, der Chefanalytiker der einflussreichen Lobbygruppe „American Family Association“, verglich das Urteil sogar mit dem Terroranschlag vom 11. September 2001. Er twitterte, dass die „Zwillingstürme der Wahrheit“ von „moralischen Dschihadisten“ zerstört worden seien. Fox-News-Kommentator Todd Starnes warnte düster: „Warten wir ab, was LGBT-Aktivisten jetzt Christen antun werden.“
In erzkonservativen Kreisen wird nun gefordert, ein Ehe-Verbot für Schwule und Lesben in der US-Verfassung zu verankern, um die Ehe-Öffnung wieder rückgängig zu machen. Das wäre zwar theoretisch möglich, aber dafür haben Ehe-Gegner nicht mehr genügend Anhänger: Für eine Vefassungsänderung wäre eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses nötig, außerdem müssten drei Viertel der Bundesstaaten zustimmen.
Es war im Vorfeld der Entscheidung bereits erwartet worden, dass der Supreme Court das Ehe-Verbot als verfassungswidrig erklärt. Grund: Die Höchstrichter haben bereits vor exakt zwei Jahren, am 26. Juni 2013, ein Bundesgesetz für verfassungswidrig erklärt, dass die Ehe auf Bundesebene als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert und so verheirateten Homo-Paaren alle Vorteile der Ehe auf Bundesebene vorenthalten hatte (queer.de berichtete). Dieses Urteil führte zu einer Reihe von regionalen Klagen gegen das Ehe-Verbot. In Dutzenden Verfahren gingen fast immer Schwule und Lesben als Sieger hervor, die sich das Recht auf Ehe einklagten. Die Zahl der Bundesstaaten, die gleichgeschlechtliche Paare im Ehe-Recht gleichgestellt haben, stieg damit von damals 13 auf bis dato 36 – und ab dem heutigen Tag sind es alle 50 Staaten.
Flashmobs in Deutschland
In Deutschland rief das Bündnis Ehe für alle ab 18 Uhr in mehreren Städten zu Flashmobs vor US-Botschaften und Konsulaten auf. Allein in Berlin feierten etwa 40 Menschen die Entscheidung des Supreme Court.