Tango-Erotik zwischen Männern

Tango-Erotik zwischen Männern

„Der Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens“, das behauptet zumindest George Bernhard Shaw.

Vor allem für unsere männlichen Leser (aber nicht nur!) haben wir zwei Videos gefunden, mit denen eine Annäherung an die Frage, was Erotik im Tango  bedeuten kann und wie sie zwischen (zwei oder mehr) Männern ausgedrückt werden könnte.

 

Der argentinische Dichter Jorge Luis Borges spricht aus, was die Historiker des Tangos wissen:
daß der Ursprung des Tanzes in den Bordellen liegt.  „Es fehlt nicht an zusätzlichen Bestätigungen: die lüsternen Tanzfiguren, die offensichtliche Anzüglichkeit gewisser Titel“ …  „Der Umstand, den ich als Kind in Palermo und Jahre später in La Chacarita und in Boedo beobachten konnte: An den Straßenecken tanzten Männer zusammen, weil die Frauen aus dem Volk nicht an einem Schlampenschwof teilnehmen wollten.

Der vollständige Artikel dazu findet sich auf:   http://parapluie.de/archiv/pakt/tango/  (allerdings steht dort zum letztgenannten Aspekt, dem Tango tanzen zwischen Männern, leider auch nicht mehr).

Dass der Tango vom Rio de la Plato (dem aus Argentinien und Uruguay stammenden Tango, den wir hierzulande meist „argentino“ nennen) auch viel mit zwischenmenschlicher Beziehungsdynamik und gar erotischer Spannung zu tun haben kann, ist wohl unbestritten.  Im gegengeschlechtlich (und geschlechtstypisch) getanzten Tango vermittelt diese sich zumeist über die unterschiedlichen Körper (Größe, Bewegungsabläufe, Körpersprache und -ausdruck usw.), über die i.d.R. sehr unterschiedliche Kleidung und nicht zuletzt über fest zugeschriebene Schritte, Figuren usw., sowie über Rollenzuweisungen, Dominanz und Unterordnung.

Im gleichgeschlechtlich getanzten Tango entfallen diese festglegten Zuordnungen, und eigene Formen des ästhetischen Ausdrucks dürfen/müssen/können geschaffen werden.  Dies gilt auch für die Vermittlung von Erotik – und dabei macht es möglicherweise auch einen (mehr oder weniger?) großen Unterschied, ob zwei Männer oder zwei Frauen miteinander tanzen.

Dieser kleine Beitrag hier hat nicht die Absicht, einen profunden Essay zum Thema „Tango und Erotik – von der Zeit seiner Entstehung bis in die Postmoderne“ darzustellen, sondern mit den beiden folgenden Sehbeispielen soll nur eine erste Annäherung daran erfolgen und zum eigenen Nachdenken anregen:

Two men dancing in their underwears

 

„Das sind ja nur zwei Schluffis, die in ollen Schlüppern mittelmäßig Tango tanzen“, so ein Freund, der sich das Video angesehen hatte.  Und diese Bemerkung führt uns zu der Frage, was und wie mann etwas als erotisch bewertet.  Nach den (medial) verbreiteten Maßstäben schwuler Ästhetik drückt der Tanz zwischen den beiden sicher für etliche Männer keine ausreichende „Erotik“ aus, dafür sind deren Körper nicht „ideal“ genug, und auch die Wahl der Unterhosen würde von vielen als mißlungen bezeichnet werden.

Die Frage der Körperbehaarung und ob Bart oder nicht, hängt wiederum von den unterschiedlichen erotischen Präferenzstrukturen der Betrachter ab, und hier gibt es scheinbar zwei „Lager“, und die Bart- und die Nichtbart-Träger bzw. die Haarigen und die Rasierten bleiben dabei meist gerne unter sich.  Erst an letzter Stelle würde vermutlich der „tänzerische Ausdruck“ und das (emotinale) Zusammenspiel der beiden Tänzer bewertet werden.

Auf der anderen Seite vermittelt dieses Video einen authentischen Einblick in die Intimität eines durchschnittlichen Paares (mit Körpern, wie ihn wohl die meisten Männer haben), sie tanzen Tango ganz privat in ihrer Wohnung, sie tanzen auf einem „durchschnittlichen Niveau“, vermutlich so wie die meisten, die sich dieses Video anschauen.  Möglicherweise ist es ja gerade diese Durchschnittlichkeit, die damit verbundene Nähe zum Betrachter, sowie die Intimität des Tanzens zwischen den beiden die uns zu Voyeuren bei einem ganz privaten und an ein erotisches Vorspiel erinnernden Körperkontakt werden lässt.  Dies könnte Spannungen und Gefühle eines nicht fassbaren Unwohlseins erzeugen, die abgewehrt werden müssen.  Vielleicht so wie bei dem oben zitierten Freund.

 

Eine ganz andere Ästhetik des Tangotanzens vermittelt das zweite Beispiel:

 Tango Rojo

 

„Die Stärke der „erotischen Ausstrahlung“ und der „erotischen Signale“, die andere Menschen „senden“, wird keineswegs nur durch den bloßen Anblick eines möglichst hohen Grads von Nacktheit eines menschlichen Körpers bestimmt, vielmehr können auch bestimmte Kleidungsstücke und Gegenstände (s. Fetisch), die Mimik und Gestik einer Person, Sprachmelodie und -färbung, Körperhaltungen und Handlungen von Menschen oder deren Abbilder Erotik erzeugen.“  Soweit Wikipedia.

 

Dass Erotik nicht an Nacktheit gebunden ist, zeigen auch die meisten Beispiele von (insbesondere Beziehungs-) Paaren, die miteinander Tango tanzen.  So auch in dem zweiten Video:  hier spiegelt sich eine ganz andere Ästhetik des Tanzens zwischen Männern wider, die Körper werden verhüllt und die Kleidung vermittelt das Bild (oder zumindest die Illsuion) „perfekter“, durchtrainierter Körper.  Ihr äußeres Erscheinungsbild und Verhalten entspricht dem positiven Stereotyp einer zupackenden („aggressiven“) Männlichkeit.

Der Fokus liegt vor allem auf dem tänzerischen Ausdruck, der sportlich-kraftvollen Tanztechnik und dem eher kämpferischen Zusammenspiel der beiden Tänzer.  Für viele Betrachter wird darüber eine erotische Spannung vermittelt (schwule Männer stehen nun halt mal auf „Männer“), die eine ganz andere ist, als der im ersten Film gezeigte zärtliche Umgang zweier Männer miteinander (aber auch das sind ja Männer!).

 

Es lebe die Vielfalt!
Und wenn Erotik vielleicht irgendwann in Sexualität münden sollte, dann repräsentieren diese beiden Beispiele ja auch einen möglichen Ablauf sexueller Begegnung:  der Versuch, sich anzunähern, der Flirt und die ersten Berührungen im angezogenen Zustand.  Im halb ausgezogenen dann ein zärtliches Vorspiel, es folgt ein leidenschaftlicher, vielleicht leicht kämpferischer Sexualakt und schließlich ein zärtliches Nachspiel – und statt der Zigarette danach wäre es auch aus gesundheitlichen Gründen sicher besser, einen Tango „danach“ zu tanzen ….

 

Die beiden Videos haben wir auch dem stöbernswerten Archiv des QueerTangoProjects, über das wir an anderer Stelle bereits auf GleichTanz berichtet haben:  „Eine tolle Sache:  Das QueerTango-Book“

 

Demnächst? „Tango-Erotik zwischen Frauen“
Bei nächster Gelegenheit würden wir gerne das Thema auch aus weiblicher Sicht betrachten wollen.  Wer hat Lust, dazu einen Beitrag oder auch nur ein paar Zeilen zu schreiben oder uns ihre Sichtweise zu einzelnen Aspekten mitzuteilen (die wir dann in dem entsprechenden Beitrag zitieren könnten) und/oder wer hat ein gutes Sehbeipiel zum Thema?

 

 

Günther Schon

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