Mit der Ausstellung „Homosexualität_en“ präsentieren das Schwule Museum und das Deutsche Historische Museum vom 26. Juni bis 1. Dezember 2015 erstmals eine umfassende Schau zu Geschichte, Politik und Kultur der Homosexualität.
Auf insgesamt 1.600 Quadratmetern werden der gesellschaftliche Umgang mit Homosexualität unter Aspekten sozialer, juristischer und wissenschaftlicher Repression und die schrittweise Emanzipation seit dem späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart thematisiert. Die gemeinsam von der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder geförderte Ausstellung findet vom 26. Juni bis 1. Dezember 2015 im Schwulen Museum* und im Deutschen Historischen Museum statt. Beide Einrichtungen nehmen den fortwährenden, weltweit geführten Diskurs um die Gleichberechtigung Homosexueller zum Anlass, mit dieser Ausstellung ein sowohl gesellschaftlich als auch politisch aktuelles Thema in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.
Eine Ausstellung an zwei Standorten
Im Fokus des Ausstellungsteils im DHM steht die historische Entwicklung in den Bereichen Gesellschaft, Politik, Kunst, Recht und Wissenschaften seit der „Entdeckung“ der Homosexualität Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Ausstellungsteil im Schwulen Museum* widmet sich mit zeitgenössischen künstlerischen Positionen Gegenwart und Zukunft der Geschlechterordnung und der Sexualitäten.
Fülle an Materialien
Die Geschichte und Kultur homosexueller Menschen führen im öffentlichen Gedächtnis bisher ein Schattendasein. Die Ausstellung „Homosexualität_en“ bietet mit einer eindrucksvollen Fülle von Materialien, Formaten und Medien einer breiten Öffentlichkeit einen Einblick in ihre differenzierte und facettenreiche Geschichte. Sie würdigt damit die kulturhistorische Leistung der homosexuellen Emanzipation, die das gesellschaftliche Verständnis von geschlechtlicher Identität verändert hat. Homosexuelle Kulturen und Lebensentwürfe haben das Bewusstsein für die Begrenztheit der tradierten Geschlechterordnung geschärft und die Anerkennung der Vielfalt von alternativen Lebensmodellen befördert. Die Ausstellung durchkreuzt die übliche Wahrnehmung, Homosexuelle mit schwulen Männern gleichzusetzen. Sie rückt vielmehr die wesentliche Rolle lesbischer Aktivist_innen zu dieser Entwicklung in den Fokus.
Bemühen sexuelle und geschlechtliche „Abweichungen“ zu „heilen“
In zehn Kapiteln wird die Geschichte der Homosexualität_en bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Die Ausstellung zeigt, wie gleichgeschlechtliche Sexualität und nonkonforme Geschlechtsidentitäten von der Gesetzgebung kriminalisiert, von der Medizin pathologisiert und gesellschaftlich ausgegrenzt wurden. Zu sehen ist z.B. ein Exemplar der ersten reichseinheitlich geltenden weltlichen Strafvorschrift „Constitutio Criminalis Carolina“ aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die im Rückgriff auf religiöse Traditionen sexuelle Handlungen „wider die Natur“ von Frauen wie Männern mit dem „Feuertod“ bestrafte. Auch der handschriftliche Brief des Schriftstellers Karl Maria Kertbeny von 1868 wird zu sehen sein, in dem erstmals die Begriffe homosexual und heterosexual verwendet wurden. Seit Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sexualität markierte Homosexualität die Abweichung vom „Normalen“. So illustriert die Ausstellung das Bemühen von Medizin und Psychologie, sexuelle und geschlechtliche „Abweichungen“ zu diagnostizieren und zu „heilen“. Im Gegenzug zeigt sie auch, mit welchen Modellen Wissenschaftler_innen wie Karl Heinrich Ulrichs, Magnus Hirschfeld oder Judith Butler versuchten und versuchen, ein Verständnis für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu etablieren.
Lesben- und Schwulenbewegung
Ein Kernbereich der Ausstellung widmet sich der Lesben- und Schwulenbewegung, insbesondere seit der gesetzlichen Liberalisierung ab den 1960er-Jahren mit einer Fülle von unterschiedlichen Exponaten. Zu sehen sind Flugblätter, Pressematerialien, Plakate, Fotografien, Videos und Objekte wie z.B. eine im Original erhaltene Aufklärungsbroschüre der ersten homosexuellen Bürgerrechtsorganisation „Wissenschaftlich humanitäres Komitee“ (WhK) aus dem Jahr 1901, das Drehbuch von „Coming Out“ (1989), dem ersten und letzten offiziellen Film zur Homosexualität in der DDR oder Filmaufnahmen des „Mösenmobils“ auf dem Berliner CSD 1998.
Aktuelle Debatten
Schließlich versucht die Ausstellung gegenwärtige Debatten darzustellen und nach der Zukunft der Geschlechterordnung und der Sexualitäten zu fragen. Sie zeigt auf, wie heute neue Bündnisse von trans*, inter* und queer-feministischen Akteur_innen die gesellschaftliche Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vorantreiben. Neben den historischen Entwicklungslinien präsentiert die Ausstellung eine Fülle von subjektiven Erfahrungen: Ein Kapitel widmet sich sehr persönlichen Geschichten des „Coming Out“, ein anderes beleuchtet den Übergang vom Privaten zum Politischen, indem Codes in Kleidung, Style und Verhalten gezeigt werden, die sich vom Erkennungszeichen unter Gleichgesinnten zu offensiven Manifestationen in der Öffentlichkeit wandelten.
Internationale zeitgenössische Künstler_innen
Ausgewählte Positionen zeitgenössischer Künstler_innen kommentieren auf vielfältige Weise die Themen der Ausstellung. Darunter sind Werke von Monica Bonvicini, Louise Bourgeois, Heather Cassils, Michael Elmgreen & Ingar Dragset, Nicole Eisenman, Katarzyna Kozyra, Tamara de Lempicka, Lee Lozano, Jeanne Mammen, Zanele Muholi, Henrik Olesen, Sturtevant, Sam Taylor-Johnson und Andy Warhol.
Archive und private Initiativen
Die meisten der Exponate verdanken sich privaten Initiativen, die ihre Sammlungen in Archive wie dem Lesbenarchiv Spinnboden, den feministischen Archiven FFBIZ und Grauzone, dem Kölner Frauenmediaturm oder dem Archiv des Schwulen Museums* übergeben haben. Damit wirft diese von der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder maßgeblich finanzierte Ausstellung die grundsätzliche Frage auf, wie das Thema „Homosexualität_en“ zukünftig in Museen und Archiven angemessen repräsentiert und dargestellt werden kann.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Dr. Birgit Bosold, Dr. Dorothée Brill, Detlef Weitz unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Dr. Sarah Bornhorst, Noemi Molitor und Kristine Schmidt.
(Quelle: schwulesmuseum.de )