Frauen-Paare, die auf Turnieren (nicht nur kleidungsmäßig) das „gewohnte“ Bild gemischtgeschlechtlicher Turnierpaare reproduzieren? Große Frauen (und natürlich auch große Männer), die in die Rolle der Führenden „gezwungen“ werden? Der immer seltener praktizierte Führungswechsel als Zugeständnis an die heteronormativen Sehgewohnheiten?
Diese Themen und die allgemeine Frage, was denn „Gleichtanzen“ bedeuten kann, diskutiert der folgende Beitrag von Lula Witzescher.
Seit Bestehen unseres Online-Portals haben wir von GleichTanz.de diese und andere Fragen in zahlreichen Beiträgen immer wieder aufgeworfen … auf der Suche nach den spezifischen Ausdrucksformen und den besonderen Entfaltungspotentialen einer gleichgeschlechtlichen Tanzästhetik.
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Eintanzen/Standard. Auf den ersten Blick bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich bei einem Equality Turnier bin: Paare in Kleid/Frack-Kombination drehen dort wie „normale“ Frau-Mann-Paare ihre Runden. Erst auf den zweiten Blick sehe ich ein Paar mit einem Outfit, das nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen ist. Bei den Männern bietet sich ein anderes Bild: Dort tanzen die Paare fast ausschließlich im Frack. Mir scheint, die Frauen deuten das Wort „Equality“ als „die Gleichheit zum gemischtgeschlechtlichen Tanz“, während die Männer der Bedeutung „Gleichförmigkeit“ folgen. Und ich dachte „Equality“ würde sich auf die Gleichheit der Geschlechter im Paar beziehen!
Und wie immer stelle ich mir folgende Frage: Warum nutzen nur so wenige Tanzende diese Gelegenheit, sich außerhalb traditioneller Bilder zu bewegen?
Bei meinem ersten Turnier war ich bezaubert von der Vielfalt: von der Verschiedenheit der Paare und der Klamotten, von der großen Alters-spanne, den verschiedenen Interpretationen der Führenden- und Folgendenrollen. Ich sah unendliche Möglichkeiten vor mir, die völlig unabhängig von Geschlecht zu sein schienen, sondern in denen es um den Ausdruck von verschiedenen Persönlichkeiten ging.
Doch mit den Jahren änderte sich das Bild. Bestimmt gibt es unter den tanzenden Frauen einige, die sich ihren geheimen Wunsch erfüllen, als Prinzessin im bauschigen Kleid über die Fläche zu schweben. Als ich damals mein Schlabbershirt gegen eine Kombination aus knallenger Weste und Push-up-BH getauscht habe, war das wie die Entdeckung einer neuen Persönlichkeit und es hat sich unglaublich gut angefühlt.
Bilder und Konzepte helfen uns dabei, uns schneller zurechtzufinden, indem wir ganz automatisch Einschätzungen vornehmen. Doch führen sie uns auch oft in die Irre, wenn sie buchstäblich „aus dem Rahmen fallen“.
Ich wünschte mir damals, im gleichgeschlechtlichen Tanzen einen Ort gefunden zu haben, wo ich aus dem Rahmen fallen könnte, ohne mich dauernd erklären zu müssen. Warum ich als zwei Meter große Frau auch folgen und nicht nur führen wollte. Doch habe ich die Erfahrung gemacht, bei einem Probetraining trotz meines Widerspruchs in die Rolle der Führenden gedrängt zu werden. Es wäre doch klar, dass ich bei meiner Größe nicht folgen könne. Ja? Warum eigentlich? Wir konnten uns nicht durchsetzen und gingen deshalb nie wieder dorthin. Wir waren nicht die Typen dafür, etwas zu tun, weil „man es einfach so macht“, sondern wollten unsere eigenen Vorstellungen auf die Fläche bringen. Es war nicht einfach, Leute zu finden, die uns dabei unterstützten. Manche Einwände mögen ihre Berechtigung gehabt haben: Es ist schwer zu führen, wenn ich nur den Busen meiner Folgenden sehe. Aber schwer ist nicht unmöglich und für mich ging es immer darum, Fragen zu stellen und Lösungen zu finden, die zu mir passen. Ganz sicher würde ich mir deshalb auch nie ein total fratzenmäßiges Make-up verpassen lassen, weil ich das Bild von „ausdrucksstark“ damit einfach nicht assoziieren kann.
Der gleichgeschlechtliche Tanzsport kämpft immer noch um Anerkennung. Die Angliederung an den DTV hat dazu beigetragen, dass von den vielen unter-schiedlichen Meinungen, was gleichgeschlechtliches Tanzen ausmacht und ausmachen sollte, sich nur ganz bestimmte durchsetzten. Das Resultat sehen wir jetzt.
Doch drängt sich mir noch eine andere Frage auf: Warum orientieren sich die Frauen an den traditionellen Geschlechterrollen und die Männer nicht?
Naheliegend ist natürlich, dass hier ganz normale Geschlechterdiskriminierung weiterwirkt. Kein Mann macht sich freiwillig zur Frau, sprich: schwach. Vereinzelt gab es in vergangenen Jahren mal Männer, die ein wenig mutiger waren und mit Pumps zum Frack tanzten oder ein Chiffonfähnchen an der Klamotte wehen ließen. Aber es war klar, dass es dort eine (undefinierte) Grenze gab. Im Rock oder Kleid wäre jeder Mann im besten Fall belächelt worden.
Für mich ist der Führungswechsel ein unverzichtbarer Bestandteil und ich wundere mich, wie wenige Paare ihn noch tanzen. Ein Grund dafür könnte sein, dass mit Führungswechseln ein höherer Aufwand nötig ist, um ein eben-so gutes Ergebnis zu erzielen als ohne. Ein anderer Grund könnte aber auch sein, dass die Wertenden gleichgeschlechtliche Paare nach Kriterien aus dem Heterotanzen beurteilen und der Führungswechsel deshalb eher Nachteile bringt.
Nehmen wir als Beispiel das Wertungskriterium Paarharmonie. Was empfinden wir als harmonisch? Wir sind vom allgegenwärtigen Bild geprägt, in dem bei einem Paar der Mann größer ist als die Frau. Aus dieser Tatsache entstand die klassische Tanzhaltung, die als harmonisch empfunden wird. Dieses Bild legen wir unbewusst zugrunde, wenn wir die Harmonie eines gleichgeschlechtlichen Paars beurteilen: Die Führenden sollten größer als die Folgenden sein und in der klassischen Tanzhaltung tanzen. Doch muss das wirklich so sein? Vielleicht sollten hier die Fragen lauten: Wer legt fest, was harmonisch aussieht? Und wer hinterfragt diese Festlegung kritisch?
Solange die Wertungskriterien – ob bewusst oder unbewusst – auf herkömmlichen Bildern beruhen, ist es natürlich schwer, mit davon abweichen-dem Auftreten erfolgreich zu sein. Doch für manche geht es vielleicht um mehr als den Sieg. Für manche ist es zum Glück immer noch ein willkommener Freiraum, den es zu nutzen und um den es auch in Zukunft zu kämpfen gilt. Denn letztendlich entscheiden es doch die Paare selber, wie viel Heteronormativität (und Frauendiskriminierung) sie auf der Tanzfläche präsentieren wollen.
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Diesen Text hatte Lula Witzescher für das Programmheft der Offenen Berliner Meister*innenschaften 2016 geschrieben. Er steht zudem auf Webseite von pinkballroom mit dem Titel „Equality Dancing – Von der (begrenzten) Freiheit aus der Rolle zu tanzen“