Ein Deutschlandfunk-Beitrag über den Ausschluss des Buches „Beißreflexe“:
„Zensiert sich eine Community selbst?“
Ein Buch, in dem behauptet wird, es gebe innerhalb der queeren Szene Zensur, darf auf der Buchmesse „Queeres Verlegen“ nicht ausgestellt werden. Ist das ein Fall von Zensur? Unsere Redakteurin Svenja Flaßpöhler hat sich das näher angeschaut.
Frank Meyer: Ein Buch wird ausgeschlossen. Ein kritisches Buch darf nicht auf einer queeren Buchmesse in Berlin gezeigt werden – das ist unerwünscht, dieses Buch. In einer Woche findet dort die Feministische Buchmesse queerer Verlage und Akteur_innen statt, und das Organisationsteam der Messe hat dem Quer-Verlag verboten, dort eins seiner Bücher auszulegen: den Band „Beißreflexe“.
Daraufhin haben der Quer-Verlag und zwei weitere Verlage ihre Teilnahme an der Buchmesse abgesagt. Unsere Redakteurin Svenja Flaßpöhler hat sich das näher angeschaut und ist jetzt hier im Studio. Was ist das erst mal für ein Buch, „Beißreflexe“, das dieses Organisationsteam nicht auf der Messe sehen will?
Will die queere Szene keine Kritik?
Svenja Flaßpöhler: Das ist Sammelband, der herausgegeben wurde von Patsy l’Amour LaLove, die selber aus der Szene auch stammt, sie also von innen heraus kennt. Man muss sagen, jetzt mal so rein stilistisch ist dieses Buch jetzt kein wahnsinnig großer Wurf, das sind sehr kurze Texte, sehr polemische Texte, die aber eben einen sehr klaren Anwurf, einen sehr klaren Vorwurf formulieren, nämlich dass es innerhalb der queeren Szene Ausschlussmechanismen gibt, Zensur gibt, die Zensur unliebsamer Meinungen, die Zensur von Kritik, die Kritik eben auch daran, dass die Homosexualität oder der queere Lebensstil jetzt quasi das Nonplusultra ist und andere Formen der Sexualität im Grunde abgewertet werden als normal, als angepasst und so weiter. Das ist der Vorwurf, es geht auch um autoritäre Sehnsüchte innerhalb der Szene, also es ist schon ein Buch, was starke Kritik formuliert.
Meyer: Das habe ich schon gesagt, drei Verlage haben abgesagt, einerseits der betroffene Quer-Verlag, zwei weitere Verlage haben sich solidarisiert und auch abgesagt, gab es sonst Reaktionen auf diesen Ausschluss eines Buches?
Einige Verlage haben sich solidarisiert
Flaßpöhler: Na ja, die finanziellen Unterstützer dieser Buchmesse haben sich natürlich auch gerührt. Dazu zählt die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung unter anderem, und die haben eine öffentliche Stellungnahme gefordert und haben auch gefordert, dass man also diese Entscheidung bitte schön zurücknimmt. Das ist aber nicht passiert, es gibt aber jetzt immerhin nach der Messe offensichtlich ein Gespräch zwischen den Veranstaltern, die also dieses Buch da nicht sehen wollten, und den boykottierenden Verlagen.
Meyer: Wie passt so ein Vorgehen eigentlich, so eine kritische Haltung auszuschließen aus dem Diskurs, wie passt das eigentlich zur Geschichte der queeren Bewegung?
Autoritäres Denken statt Toleranz?
Flaßpöhler: Also eigentlich muss man sagen überhaupt nicht, überhaupt nicht. Man kann ja sagen, der Urtext oder ein ganz zentraler Text dieser Bewegung ist das Buch „Gender Trouble – Das Unbehagen der Geschlechter“ von Judith Butler, das ist so die Galionsfigur, kann man fast sagen, dieser Bewegung. Und in diesem Buch wendet sie sich ganz explizit gegen jegliche Form von Ausschließung, natürlich immer aus der Perspektive der Homosexuellen. Judith Butler ist selber lesbisch und wehrt sich dagegen, und zwar in einer sehr, ja, einer sehr überzeugenden Art und Weise. Deshalb ist es umso frappierender, dass jetzt quasi diese Bewegung, die dafür kämpft, dass man das Ausgeschlossene sozusagen akzeptiert und toleriert und anerkennt, dass diese Bewegung jetzt selber ausschließt und zensiert.
Meyer: Und können Sie sich erklären oder haben Sie Ansatzpunkte dafür gesehen, warum so eine Haltung, so eine ausschließende autoritäre Haltung sich entwickelt hat in der queeren Szene?
Ist die queere Szene elitär geworden?
Flaßpöhler: Also ich denke, das passiert jetzt ganz konkret in diesem Fall genau dann, wenn man das Ausgeschlossene selber wiederum zum, ich sag jetzt mal so, zum Auserwählten erhebt, also das, was unterdrückt wird, ist das wahre, das authentische, das richtigere Leben, der richtigere Lebensstil und so weiter. Aber auch das widerspricht einer Grundeinsicht von Judith Butler, die gemeinsam übrigens auch mit Michel Foucault – der ja auch sehr bekannt ist, der französische Historiker und Philosoph – sehr klar gezeigt hat, dass das Ausgeschlossene, also die Homosexuellen, die Transsexuellen und so weiter, dass das Ausgeschlossene selber wiederum nur ein Effekt der Macht ist. Also dass man nicht sagen kann, das Ausgeschlossene ist jetzt irgendwie das Wahrere oder das, was jenseits der Macht ist, sondern wir kommen aus dem Machtdiskurs eigentlich gar nicht heraus. Also deshalb muss es wirklich überraschen, dass das jetzt hier so ausartet, muss man sagen.
Der Konflikt ist symptomatisch für unsere Zeit
Interessant ist aber natürlich auch, dass dieser ganze Vorgang oder die Diskussion jetzt darum symptomatisch ist für die Debatten der heutigen Zeit. Es ist ja vielleicht auch noch mal interessant, sich die Begründung für den Ausschluss dieses Buches anzugucken, da heißt es nämlich: Dieses Buch, das schon so große Aufmerksamkeit erfährt und unsere queerpolitischen, feministischen, antirassistischen und linken Kämpfe abwertet, möchten wir nicht auf der Messe haben.
Und das erinnert natürlich sehr stark an eine Argumentationsstruktur, die wir auch gehört haben jetzt bei der Frankfurter Buchmesse zum Beispiel, wo darüber diskutiert wurde, soll man rechte Verlage zulassen oder nicht. Und all diese Debatten werfen Fragen auf, die wir heute diskutieren müssen, also die Frage, wem bietet man eine Bühne, wem nicht, welche Meinungen lässt man zu, welche nicht, wie offen zeigt man sich für Kritik und – ganz wichtig – ab welchem Punkt schlägt das Verteidigen der eigenen Position in Zensur und Dogmatismus um. Und das sind Fragen, die, denke ich, in den Kern unseres heutigen demokratischen Selbstverständnisses zielen.
Meyer: Und die stellen sich jetzt akut bei der Buchmesse Queeres Verlagen. Dort ist das kritische Buch „Beißreflexe“ aus dem Quer-Verlag unerwünscht, wurde von der Buchmesse ausgeschlossen. Svenja Flaßpöhler war hier im Studio, ganz herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Quelle: deutschlandfunkkultur.de (10.11.17)
Und hier geht´s zu einer detaillierteren Besprechung des Buches:
http://literaturkritik.de/lamour-lalove-beissreflexe,23844.html