Eintänzer auf Bestellung

Eintänzer auf Bestellung

Anachronistisch oder auch heute noch für bestimmte Situationen praktisch?
Ein Spiegel-Artikel über (männliche) Eintänzer, die frau für einen Tanzabend mieten kann (Eintänzerinnen scheint es kaum zu geben?)  – und der von uns  mit den Erfahrungen des GleichTanz-Lesers Bernd, der selbst als Eintänzer gearbeitet hat, ergänzt wird.
 

Gestatten, Gnädigste?

Der Job erfordert sichere Schritte, elegante Kleidung, tadellose Manieren. Eine Berliner Agentur lässt die kurze Ära der Eintänzer neu aufleben. Frauen können die tanzenden Gentlemen für einige Stunden mieten – wie einst in den Goldenen Zwanzigern. Privatkontakte zur Kundschaft sind tabu.

An diesem Samstagabend ist die Tanzfläche der Tanzschule „Maxixe“ im Berliner Stadtteil Kreuzberg gut gefüllt. Lara Hoffmann, 37, sitzt auf einem gepolsterten Barockstuhl am Rand. Die Unternehmensberaterin aus der IT-Branche sieht nicht so aus, als hätte sie Probleme, einen Mann zu finden: Lange, dunkle Haare, das kurze Schwarze fällt perfekt über die elegant gekreuzten Beine. Eloquent erzählt sie von ihrer Zeit in Argentinien.

Als die Musik wechselt, verstummt Hoffmann. Sie hebt den Finger, schaut verträumt in die Luft: „Ich mag diesen Tango.“ Der Satz ist noch nicht zu Ende gesagt, schon schnippt ihr männlicher Begleiter von seinem Stuhl: „Darf ich bitten?“, fragt Roland Waizenegger, 42, und streckt seinen Arm aus.

Die Aufmerksamkeit ist kein Zufall, auch keine billige Anmache. Hoffman bezahlt dafür, denn Waizenegger ist ein Mann für gewisse Stunden. Stunden des Tanzens. Sein Beruf: Eintänzer. Man kann Waizenegger mieten oder einen der 30 anderen Tänzer seiner Agentur, für einen Abend oder für ein paar Stunden. Es wird nur getanzt und geredet – mehr nicht. Eintänzer haben einen Ehrenkodex. Und eine Geschichte.

Nach dem Ersten Weltkrieg verdingten sich arbeitslose deutsche Offiziere kurzerhand in Tanzdielen und Hotels. Vor allem in Berlin blühte das Geschäft mit den Miettänzern. Hier nahm Waizenegger vor sechs Jahren die Tradition auf und gründete sein kleines Unternehmen.

Historisch stimmte der Ort, die Zeit war reif: Frauen seien immer weniger bereit, sich von einem Mann abhängig zu machen, sagt Waizenegger. Bereits zur Blütezeit der Eintänzer in den Goldenen Zwanzigern entwickelte sich ein emanzipierteres Frauenbild. Damals – kurz nach dem Krieg – fehlte es zudem an Männern. „Das ist heute nicht anders, in der Singlehauptstadt Berlin“, sagt Waizenegger.

Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz

Die modernen Eintänzer tun es ihren historischen Vorbildern gleich. Sie können für private Feiern gemietet werden und für öffentliche Bälle, auch für Junggesellinnenabschiede. Stets lautet das Motto: „Die Kundin muss sich gut fühlen.“

Zur Arbeitskleidung eines Eintänzers gehören ein Anzug oder – sofern es die Veranstaltung verlangt – ein Frack sowie elegantes Schuhwerk. „Und ganz wichtig: ein Pfefferminz“, sagt Waizenegger. Mundgeruch geht gar nicht, wie auch alles, was dazu führt, etwa Bier trinken oder Rauchen. Der Agenturchef erklärt den Eintänzer-Knigge in Kurzform:

  • Pünktlich sein: Man darf die Kundin nicht warten lassen.
  • Emotionale und körperliche Unverbindlichkeit: keine Telefonnummern annehmen, keine privaten Daten austauschen.
  • Sich nicht von anderen Frauen auffordern lassen.
  • Auf ein gepflegtes Äußeres achten.
  • Kein Kaugummi kauen.
  • Nicht in den Tanzlehrerstil verfallen.

Das Wichtigste ist aber: „Die Frau muss das Gefühl haben, dass sie gut aussieht auf dem Parkett.“

Waizenegger selbst ist als Tänzer ein Spätzünder. Er begann damit erst, als er vor 15 Jahren nach Berlin kam. Turniererfahrung sei als Eintänzer keine Voraussetzung, technisch sicher sollte man jedoch sein, sagt er.

Tagsüber Controlling, abends Tango

Trotz guter Auftragslage – zwei bis drei Auftritte pro Woche – bleibt das Tanzen ein Hobby mit Zubrot. Ansonsten geht Waizenegger einem Nine-to-five-Bürojob nach: Der studierte Verwaltungswirt arbeitet als Controller in einem Berliner Krankenhaus. Tagsüber schiebt er also Zahlen übers Papier, abends die Damenwelt übers Parkett. Seine beiden Jobs seien wie zwei Sphären, „eine sehr nüchtern, die andere sehr emotional“, sagt er.

Seine Agentur firmiert unter den Marken „be my dancer“ und „Einfach tanzen“. Der Ruf des Eintänzers hatte nach seiner kurzen Hochphase gelitten; der synonym verwendete Begriff Gigolo ist heute als Frauenheld eher negativ besetzt. Unmoralische Angebote gebe es aber selten, so Waizenegger: „Unsere Kundinnen sind froh, dass das Sexuelle nicht mitschwingt.“

Das Buchen von Wunschtänzern ist ohnehin nicht möglich. Waizenegger sucht den passenden Partner aus, nach einem Gespräch mit der Kundin. Die Hauptklientel sind gut verdienende, alleinstehende Frauen, oft Unternehmerinnen – „Frauen, die sehr selbstbewusst durchs Leben gehen“. Der Anteil männlicher Kunden sei verschwindend gering, aber man kann bei Waizenegger auch sechs Tänzerinnen buchen.

Diskretion ist Ehrensache

Arne Kapteina, 43, tanzt seit einem guten Jahr im Nebenjob für die Berliner Agentur. Das „monetäre Moment“ sei ihm nicht so wichtig, die Lust am Tanzen sein eigentlicher Antrieb, sagt der Sachbearbeiter und Maler. Deshalb setzt Kapteina bei Buchungen zeitliche Grenzen: „Zwei bis drei Stunden – alles darüber ist anstrengend.“

In Deutschland verdiene heute keiner mehr seinen Lebensunterhalt als Miettänzer, schätzt Claus Heinrich Bill vom Institut Deutsche Adelsforschung. Weltweit gebe es immerhin ein paar hundert Eintänzer, etwa die „Taxi Dancer“ in Buenos Aires. „In Argentinien gibt es durch den Tangoboom ein ganz anderes wirtschaftliches Interesse.“ Bill hat die Historie des Berufsstandes genau untersucht: „Der klassische Eintänzer aus dem Berlin der zwanziger Jahre ist ausgestorben“, die heutigen Formen in Europa seien mehr ein „skurriles Hobby“.

In Waizeneggers Agentur kostet ein Eintänzer um die 40 Euro pro Stunde, plus Eintritt und Getränke. Mindestens zwei Stunden müssen gebucht werden, bei spezieller Abendgarderobe wird ein Aufpreis fällig. Kundin und Tänzer zahlen in der Öffentlichkeit ihre Spesen immer selbst. Die Rechnung kommt später dezent per Post. Diskretion ist Ehrensache bei den tanzenden Gentlemen – auch beim Bezahlen.

Bloß nicht bei Tanzabenden herumsitzen

Waizenegger erscheint eine Viertelstunde früher zu dem Treffen mit seiner Kundin Lara Hoffmann. „Die Zeit brauche ich, um zur Ruhe zu kommen.“ Ein Eintänzer muss entspannt wirken. Der Hobbytänzer raut mit einer kleinen Drahtbürste seine Schuhsohlen an.

 Eifersüchtige Ehemänner seien immer mal wieder ein Problem, sagt Waizenegger und richtet sein Hemd vor einem Spiegel. Dabei sei der Körperkontakt reglementiert: „Es ist beim Tanzen genau festgelegt, wo man sich anfasst und wo nicht.“ Kapteina kennt die andere Seite: Bei einer Buchung für eine Zwanziger-Jahre-Party nahm er seine Freundin mit. „Das war das erste und letzte Mal“, sagt er. Denn nach seinem Einsatz gab es Krach – die Freundin fühlte sich vernachlässigt.

Der Tango im „Maxixe“ ist längst vorbei; Lara Hoffmann macht eine Pause. Für sie steht der Dienstleistungscharakter an diesem Abend klar im Vordergrund: „Ich habe bei Tanzabenden einfach keine Lust rumzusitzen.“ Es ist ihr erstes Mal mit einem Eintänzer, sie ist zufrieden. In Vergessenheit geratene Tänze hat ihr professioneller Partner dezent aufgefrischt. „Nach drei bis vier Schritten war alles wieder da.“

Hoffmann kann sich vorstellen, alle zwei Monate bei der Agentur zu mieten. Aber keinen Mann. „Einen Tänzer!“, sagt sie.

2. Teil: Dance With Somebody – eine kurze Geschichte der Eintänzer

  • Ein Offizier und Gentleman

Eintänzer ist eine historische Berufsbezeichnung, ursprünglich im Berlin der zwanziger Jahre. Nach dem Ersten Weltkrieg mangelte es an Männern und an Arbeit für heimgekehrte Offiziere. Viele Jobsuchende hatten gute Manieren und konnten tanzen; das gehörte in gehobenen Gesellschaftskreisen zum guten Ton und zur Ausbildung für die höhere Laufbahn beim Militär.

 So verdingten frühere Soldaten sich als Leihtänzer in Tanzdielen und bei Bällen. Zudem hatte die Demokratie die Monarchie abgelöst. In den „Goldenen Zwanzigern“ entstanden neue Formen des Freizeitvergnügens, ein selbstbewussteres Frauenbild, ein neues Lebensgefühl – und Tanzen war dasAusdrucksmittel dafür.Der Eintänzer eröffnete Bälle, tanzte den ersten Tanz – quasi als Anheizer und Eisbrecher in einem. Zudem zeigte er seinen Kundinnen neue Tänze, tanzte die Damenwelt buchstäblich in die Trends auf dem Parkett ein. Und er konnte für einen Tanz oder eine bestimmte Zeit als persönlicher Tänzer gemietet werden.

In gehobeneren Schichten und Etablissements galt unbedingte Diskretion; privater Verkehr oder gar Intimkontakte waren für Eintänzer tabu. Dennoch gab es hin und wieder Engagements über das Parkett hinaus. Wichtig: Eintänzer boten keine sexuellen Dienste feil.

  • Das Geschäft mit der Tanzlust

Für Eintänzer gab es zwar einen Berufsverband in Berlin, aber keine Ausbildung. Zu ihrem Kundenkreis zählten Hausfrauen, deren Männer Tanzmuffel waren oder bis in die Abendstunden arbeiteten, sowie ledige Damen. Nur vereinzelt gab es Eintänzerinnen, sogenannte Gigoletten oder Tanzmädchen.

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg waren Eintänzer meist selbständig, später wurden sie auch von Agenturen vermittelt – oder waren in einigen Berliner Hotels sogar fest angestellt. Der Lohn betrug je nach Lokalität und Erfahrung der Tänzer 5 bis 40 Mark pro Tag, plus Trinkgeld. Spesen zahlte in der Regel die Kundin. Reich wurde man als Eintänzer nicht: Die Anschaffung und Pflege der Tanzkleidung war kostspielig, ebenso die Körperpflege – teure Duftwasser etwa, die den Tanzschweiß überdecken mussten. Die Arbeitszeiten gingen von den späten Nachmittagsstunden (Fünfuhrtee-Gigolo) bis in die Nacht.

Promi-Eintänzer: Der berühmte Filmemacher Billy Wilder (hier auf auf einem Bild von 1946) verdingte sich Mitte der zwanziger Jahre als Eintänzer im noblen Berliner Hotel Eden und beschrieb in Reportagen seine Erlebnisse als Mietttänzer.

Promi-Eintänzer: Der berühmte Filmemacher Billy Wilder (hier auf auf einem Bild von 1946) verdingte sich Mitte der zwanziger Jahre als Eintänzer im noblen Berliner Hotel Eden und beschrieb in Reportagen seine Erlebnisse als Mietttänzer.

  • Just a Gigolo?

Eine frühe Form des Eintänzers gab es bereits ab 1900 in Argentinien. Rund um die Epoche des Ersten Weltkriegs konnten Männer (und Frauen) in New York, Paris und London als Tänzer bei Bällen gemietet werden, teils über Agenturen. Eine Bezeichnung lautete „Taxi Dancer“ – weil sie, wie bei einer Taxifahrt, für eine bestimmte Zeitspanne bezahlt wurden.

Oft wurden Eintänzer auch Gigolos genannt – die Begriffe existierten anfangs als Synonym. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekam „Gigolo“ eine zweite Bedeutung: ein Frauenheld; einer, der sich von Frauen aushalten lässt. Der heute seltene Begriff des Eintänzers indes steht weiterhin für (Berufs-)Tänzer, deren Dienste man für Veranstaltungen buchen kann.

  • Der Promi-Eintänzer
 Der spätere Filmemacher Billy Wilder arbeitete 1926 zwei Monate lang als Eintänzer im noblen Berliner Hotel Eden. Eigentlich arbeitete er als Reporter, noch mit seinem richtigen Vornamen Samuel. Bei lauer Auftragslage bot der Miettänzer-Job kurzfristig ein Auskommen. 1933 emigrierte Wilder in die USA und wurde als Regisseur weltberühmt. Seine Erlebnisse als Berliner Miettänzer beschrieb er in Reportagen für die „B.Z. am Mittag“, nachzulesen im Buch „Der Prinz von Wales geht auf Urlaub. Berliner Reportagen, Feuilletons und Kritiken der Zwanziger Jahre“.
  • Aussterbende Art

Der Eintänzer als Berufsbild verschwand Ende der zwanziger Jahre. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise schlossen viele Tanzlokale, die Arbeitslosigkeit stieg. Der Tanzboom kam spätestens mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zum Erliegen – Schluss mit den ausländischen Modetänzen, Schluss auch mit den Eintänzern. „Nobilitas“, die Zeitschrift für deutsche Adelsforschung, beschreibt das so: „Schließlich war der Eintänzer Symbol einer untergehenden Zeit, Sinnbild einer Apokalypse, einer Zeit der Unverbindlichkeit und Kurzlebigkeit, ein Stellvertreter für die Käuflichkeit immaterieller Dinge.“

  • Eintänzer heute

Weltweit gibt es hier und da vereinzelt Miettänzer, die sich aber meist mit dem Tanz nur ein Zubrot verdienen. Als verwandtes Berufsbild kann man zum Beispiel die „Gentlemen Hosts“ auf Kreuzfahrtschiffen sehen.

(Quelle: spiegel.de, 07.09.2012)

 

 

 

 

Auch der GleichTanz-Leser Bernd Kraft,
Veranstalter des früheren Rosenballs
(der im Pinellodrom stattfand),
hat eine zeitlang als Eintänzer gearbeitet.

Über seine Erfahrungen berichtete die taz in dem unten folgenden Artikel.

 

 

 

 

 

Auf Erfahrung setzen

Die Idee, erfahrene TänzerInnen zu vermieten, hat die Agentur … von den Eintänzern aus den 1920er-Jahren übernommen – ein damals ganz großer Trend. Es waren vorwiegend Personen aus dem verarmten Adel, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 immerhin noch ihre feine Garderobe besaßen und sehr gut tanzen konnten, erzählt der Tänzer Bernd Kraft. „Sie boten sich dann als Eintänzer bei großen Tanzveranstaltungen in Hotels an“, berichtet der 52-Jährige. Seit mehr als zehn Jahren tanzt er, seit Sommer auch für be my Dancer. Die damaligen Eintänzer waren aber im Vergleich zu denen der Agentur nicht seriös: „Die Männer wollten manchmal auch mehr als nur mit den Frauen tanzen“, sagt Kraft.

Solch ein Gigolo-Image will die Agentur nicht haben: Hier geht es nur ums Tanzen. Abholen, nach Hause bringen oder danach ein Bier zusammen trinken, ist nicht drin, sagt Kraft.

Auch Kraft wurde an diesem Abend gemietet, und zwar von Anne Huber. Die 45-Jährige hatte den Leihtänzer bereits Ende Januar für einen Ball engagiert. „Es ist schwierig, jemanden zu finden, der auf dem gleichen Niveau ist“, sagt Anne Huber. Sie habe bereits mehrfach Tanzpartnerbörsen probiert. Aber: „Entweder waren die Männer meist viel bessere Tänzer oder es hat einfach nicht gepasst.“ An diesem Abend scheint alles gut zu passen und es sei klar, „dass es nur ums Tanzen geht“, sagt Huber. Da ihr Mann nicht immer Zeit und Lust zum Tanzen hat, will sie demnächst wohl wieder einen Tänzer mieten. „Mein Mann fühlt sich sicher entlastet, wenn er nicht so oft tanzen gehen muss“, so Huber.

Der vollständige Artikel (von 2009) findet sich im Archiv der taz

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