Tanzen wie bei Hofe

Tanzen wie bei Hofe

Prälog:  Die Tücken der Videotechnik

MaskenballDer Queer-Step-Ball im Januar war als Maskenball angelegt, und dann gab es auch noch eine Tanzaufführung im Höfischen Tanz!  „Das wäre doch eine tolle Idee, um schöne Bilder mit originellen Masken und opulenten Kostümen für die GleichTanz-Seite einzufangen!“  Gesagt, getan und gemeinsam mit unserem Video-Spezialisten Stefan Conradi und entsprechender Ausrüstung zum Ball gegangen, und vorher schnell noch eine Maskenball-Minimalausstattung nebenan bei Deko Behrendt besorgt.
Stefan ConradiDoch leider spielte die Technik nicht mit – und insbesondere die Tonqualität ließ an vielen Stellen zu wünschen übrig -, so daß die kurzen Interviews mit den höfisch Tanzenden und anderen BallbesucherInnen leider nicht oder nur in Ausschnitten zu verwenden waren.  Nichtsdestotrotz gelang es Stefan (Foto links) die Szenen so schön zu bearbeiten und neu zu arrangieren, daß eine lebendige und unterhaltsame Komposition herauskam.  Sie vermittelt einen guten ersten Eindruck vom Höfischen Tanz, garniert mit Eindrücken vom Queer-Step-Ball. 

Hintergrund: Historischer bzw. Höfischer Tanz

„Der Begriff Historischer Tanz ist parallel zu dem der Alten Musik entstanden.  Wie man am Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen hat, Alte Musik auf nachgebauten Instrumenten wieder aufzuführen, so hat man fast zeitgleich auch begonnen, alte Tänze nach den schriftlich überlieferten Zeugnissen nachzutanzen.  Ein Großteil der überlieferten Tänze sind die Tänze der höheren Gesellschaftsschichten. Aus diesem Grund wird Historischer Tanz oft mit Höfischem Tanz gleichgesetzt. Es existieren jedoch auch zahlreiche Quellen, in denen die Tänze des Bürgertums aufgezeichnet sind (Branle, Kontratänze, Ecossaise, Quadrille etc.).
Der Begriff Historischer Tanz hat sich in Abgrenzung zum Volkstanz, dem Zeitgenössischen Tanz und dem klassischen Ballett als Oberbegriff für die europäische Tanzkunst des 15. bis 19. Jahrhunderts inzwischen fest etabliert.  […]  Dokumentiert sind in erster Linie komponierte höfische Tänze. Diese beruhen oft auf Volkstänzen, die kompositorisch verfeinert worden sind.  Daher kann man Rückschlüsse auf die Tänze der einfachen Leute ziehen.“  (aus wikipedia.org/wiki/Historischer_Tanz)

Ebenfalls zum Weiterlesen empfohlen, sei die Webseite der Berliner Höfischen Tanzgruppe lespace.de, hier ein paar Ausschnitte:

„Der Beginn des 17. Jahrhunderts bedeutet für den Tanz – in Abgrenzung zu den Traditionen der Renaissance – einen fundamentalen Paradigmenwechsel auf mehreren Ebenen.  War der tanzende Körper zuvor v. a. durch das Ausführen virtuoser Schrittfolgen in Form eines kunstvollen ‚Spaziergangs‘ sowie eine damit einhergehende auffällige Ruhe des Oberkörpers im Ideal der Sprezzatura (‚Nachlässigkeit‘) geprägt, so wird der Körper im 17. Jahrhundert – dem mechanischen Weltbild Newtons zu vergleichen – in geometrischer Form vermessen und in mechanischer Form bewegt.

Ein beredtes Zeugnis davon …legt insbesondere das Traktat „Maître à Danser“ (Paris 1725) des Pariser Tanzmeisters Pierre Rameau ab. Rameau beschreibt darin zunächst systematisch die einzelnen Körperteile und deren Bewegungen im Tanz, um diese Einzelelemente anschließend zu Schritten sowie Schrittkombinationen zusammen zu setzen. Erweitert und ergänzt wird dieser ‚mechanische Körper‘ um die systematisierte Führung der Arme, ein Novum des 17. Jahrhunderts, und in einzelnen Fällen selbst um die gefällige und geschmackvolle Neigung des Kopfes.

Dabei gestaltet Rameau die Schrittkombinationen in Art eines ‚Setzbaukasten-Prinzips‘: Aus den Einzelteilen – ein mehr oder wenig fester Kanon von etwa zwanzig Schritten – lassen sich immerzu neue Kombinationen erschaffen. Variationen sind nicht nur durch Schrittfolgen, sondern insbesondere auch durch Richtungswechsel im Raum sowie unterschiedlichem Umgang mit Rhythmen möglich.“

 Höfisch tanzen im Berlin des 21. Jahrhunderts

Martin Prescha kenne ich eigentlich vom Vorspiel Salsa-Kurs, wo er seit über drei Jahren zu heißen, südamerikanischen Rhythmen die Hüften schwingt.  Aber auch davor schon hatte er eine geheimnisvoll-sagenumwobene Leidenschaft und führt auch heute noch ein Doppelleben in einem tänzerischen Paralleluniversum: er liebt den höfischen Tanz aus der Zeit der Renaissance und des Barocks.  Er liebt diese Musik, ihre Pracht und ihre Intimität, und so begann er, sich mit Texten und originalen Tanzschriften aus dieser Zeit zu beschäftigen, um sie noch tiefgründiger nachzuerleben ….

Martin:  „Sich in diesen Kleidern zu bewegen, ist schön und irgendwie hat sich in jeder Zeit und  hat sich zu jeder Tanz“mode“ auch eine passende Kleidermode entwickelt, in der sie sich am besten darstellt.  Das gilt für die Renaissance, das Rokoko und den Rock’n Roll und auch Salsa und Tango.  Wenn ich im Kostüm nach einer Choreographie von 1704 tanze, dann fühle ich mich manchmal in diese Zeit zurückversetzt, es ist eine kleine Zeitreise.“

Martin ist seit über 20 Jahren in der Berliner Szene des historischen Tanzes unterwegs, und in der gemischt-geschlechtlichen Barock-Tanzgruppe „l`espace„, die es seit gut 10 Jahren gibt und sechs bis acht Mitglieder hat, trainiert er einmal die Woche und tanzt darüber hinaus auch noch in anderen Gruppen mit.  Des weiteren nahm er nahm auch an Opernprojekten in Leipzig, Karlsruhe und Göttingen teil, wenn dort barocke Opern, etwa von Händel, oder französische Opern mit Tanz (die er besonders liebt)  inszeniert werden.

Höfischer TanzBeim Queer Step Ball im Januar 2014 , den die VeranstalterInnen als Maskenball organisiert hatten, gab es eine Tanzaufführung von Martin und seinen beiden l`espace-Mittänzerinnen Beate Horlitz und Stefanie Schmiedler, sowie einem  Freund Ingolf Colmar, der ebenfalls seit vielen Jahren an der HFF in Potsdam als Dozent und Dekan der Abteilung, neben anderen Tanzrichtungen auch Historischen Tanz unterrichtet und diese kleine Szene quasi inszeniert hat.

Sie tanzten mehrere Tänze, von denen drei Ausschnitte im Video zu sehen sind – nämlich die Pavane des Saisons (1704) Passacaille de Persée aus der Oper „Persée“ von Lully und einen Rigaudon aus der Oper „Didon“ von Desmarest und dann zum Schluß ein Menuet a quatre aus einer Tanzschrift von Dizée, das sind alles Tänze, die in den ersten 20 Jahren des 18. Jahrhunderts entstanden sind

Aus Anlaß des „queeren“ Balles machten sie einen kleinen Rollentausch und Martin tanzte kostümmäßig erstmals die Frauen- und Beate erstmals die Männer-Rolle. Während Beate sich freute, mit gewichtsmäßig leichterer und lockerer Kleidung tanzen zu können, hat Martin es genossen, mit einem großem Kostüm zu tanzen, das die Bewegung verlängert und vergrößert:
„Obwohl die Beine nicht zu sehen sind, verrät das Kostüm, wenn die Schritte nicht korrekt oder nachlässig ausgeführt werden…  Das Korsett ist mit der Zeit schon anstrengend und zwickt an allen unmöglichen Stellen, so dass es eine Erleichterung ist, wenn es abgelegt werden kann“.

Text und Fotos:  Günther Schon

 

 

Epilog:  Von den Höfen der Barockfürsten in die staubigen Prärien des Wilden Westens ….

… denn der nächste Queer Step Ball – am Sa., den 12. April im Wilde Oscar – hat das Motto „Wild, Wild West“:  Es gibt eine Tanzeinführung und Tanzaufführung im LineDance, und die VeranstalterInnen laden ein, sich mit Cowgirl- und Cowboy-Accesoires zu schmücken…
Weitere Infos unter diesem Termin in unserem
Tanzkalender.

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