Schwul-lesbische Seiten im BVG-Netz blockiert

Schwul-lesbische Seiten im BVG-Netz blockiert

In vielen U-Bahnhöfen gibt es kostenloses W-Lan. Doch nicht alle Angebote lassen sich damit aufrufen. So sind einige schwul-lesbische Seiten blockiert – aus Jugendschutzgründen.

Fünf Minuten bleiben dem Mann, dann bringt ihn die U7 Richtung Spandau. Solange lehnt er in einem der Drahtstühle. Er sieht nicht, wie Passanten zu einer anderen Bahn die Treppen hinauf hetzen. Denn zwischen Zeitung und Zug drückt er auf das Display seines Smartphones. Er wählt sich in das W-Lan der BVG ein und besucht eine Website mit schwul-lesbischen Nachrichten. Doch statt Artikeln mit Überschriften wie „Reformmuslime gegen Homophobie“ oder „Russlands homophobster Politiker erringt Duma-Mandat“ sieht er genau zwei Zeilen Text. In der ersten steht „Entschuldigung“, in der zweiten: „Die von Ihnen aufgerufene Adresse wurde vom Betreiber des Hotspots aus Jugendschutzgründen blockiert.“

Seit Ende Juli bieten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in 27 U-Bahnhöfen W-Lan-Netzwerke. Unter anderem am Leopoldplatz, am Zoologischen Garten oder an der Möckernbrücke können Fahrgäste kostenlose Hotspots nutzen. Doch bei einigen Websites bleibt der Bildschirm weiß. Mehrere Seiten mit Inhalten zu lesbisch, schwulen, bi- oder transsexuellen Themen werden blockiert. Unter anderem das Datingportal Planet Romeo und eben dieNachrichtenseite Queer.de.

Deren Geschäftsführer, Micha Schulze, sagte, es habe ihn gewundert, als er erfuhr, dass Queer.de im BVG-Netz blockiert wird. Grad die BVG also, in derenWerbespot Kazim Akboga rappt, „Mann auf Mann – is’ mir egal“. Grad die BVG also, die ihren U-Bahnhof Nollendorfplatz in Regenbogenfarben beleuchtet und die BVG also, deren Vorstandsvorsitzende einst auf dem Christopher Street Day sagte: „Die BVG ist gelebte Toleranz.“

Die Kampagnen der BVG findet Schulze gut. Er sagt: „Überall, wo es eine Sichtbarkeit für schwule Themen gibt, finde ich es gut.“ Queer.de ist im BVG-W-Lan nicht zu sehen und es ist nicht das erste Mal. Vor zwei Jahren blockte Starbucks die Website, in diesem Jahr war es die Deutsche Bahn. „Es nervt, dass wir gesperrt werden – aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen können“, sagt Schulze.

„Das geht auch uns gegen den Strich“, sagt die BVG

Auch bei der BVG kann keiner nachvollziehen, warum schwul-lesbische Websites gesperrt werden. Provider der kostenlosen Netzwerke sei die Hotsplots GmbH. Diese sei vertraglich verpflichtet worden, jugendgefährdende Inhalte aus dem W-Lan zu filtern. Denn U-Bahnhöfe der BVG seien kein öffentlicher Raum. „Wenn Sie die BVG nutzen, erwarten Sie Sicherheit und dass ihr 14-jähriger Sohn auf dem Bahnsteig keine Pornos gucken kann“, sagte die Sprecherin der Verkehrsbetriebe, Petra Reetz.

Dass auch Queer.de blockiert werde, sei albern. Reetz sagt: „Das geht auch uns gegen den Strich.“ Die BVG habe dem Provider vertraut. Kein Mitarbeiter des Unternehmens habe je Einsicht in die Liste der Kriterien genommen, nach denen Websites blockiert werden. Über diese „außergewöhnlich strengen Kriterien“ soll es nun Gespräche zwischen BVG und Hotspot-Provider geben.
„queer.de“ will nun mit den Verkehrsbetrieben sprechen

„Es ist hoch problematisch, wie solche Listen ausgewählt werden“, sagt Reto Mantz, Richter am Landgericht in Frankfurt am Main. 2014 veröffentlichte er gemeinsam mit Thomas Sassenberg das Buch „W-Lan und Recht“. Er stellte fest, dass es keine Pflicht gebe, in W-LanNetzen jugendgefährdende Inhalte zu blockieren. Theoretisch sei es möglich, dass die für Jugendschutz zuständigen Behörden anordnen könnten, dass bestimmte Websites gesperrt werden müssen. Dies hält Mantz aber für unwahrscheinlich.

Die Betreiber von Queer.de wollen nun mit der BVG sprechen. Ob er mit den Bahnen der Verkehrsbetriebe noch fahren werde? Geschäftsführer Micha Schulze sagt, dass müsse er ohnehin – schließlich besitze er kein Auto. Wenn er beim Bahnfahren die Inhalte seiner Website wieder lesen könne, würde wenigstens nicht gelten, was er noch am Mittwoch sagte: „Die BVG steht in einer Reihe mit dem Flughafen in Dubai und dortigen Telekomanbietern.“

 

Quelle: tagesspiegel.de (22.09.16)

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