Berlinale: Teddy Award für „Nasty Baby“

Berlinale:  Teddy Award für „Nasty Baby“

Sebastián Silvas Drama „Nasty Baby“ ist auf der Berlinale als bester Spielfilm, der sich mit LGBT-Themen befasst, ausgezeichnet worden. Alle Gewinnerfilme und die Urteile der Jury.

Die Gewinner des 29. Teddy Award, dem bedeutendsten Filmpreis für schwul-lesbische Künstler und Themen, stehen fest. Vier Filme und zwei Personen wurden am Freitagabend in der Komischen Oper in Berlin ausgezeichnet.

Bester Spielfilm ist das US-Drama „Nasty Baby“ von Sebastián Silva über den Babywunsch eines schwulen Künstlers. „El Hombre Nuevo“ über die Trans-Community in Urugay wurde zur besten Dokumentation gekürt. Als besten Kurzfilm zeichnete die Jury „San Cristobal“ des chilenischen Regisseurs Omar Zúñiga Hidalgo aus. „Stories of Our Lives“ von Jim Chuchu über LGBT in Kenia erhielt den Jury Award.

Darüber hinaus wurden der Schauspieler Udo Kier für sein Lebenswerk mit dem Special Teddy Award ausgezeichnet. Die HIV-positive Aktivistin Martha Tholanah aus Simbabwe erhielt den „David Kato Vision & Voice Award“.

Mitglieder der Jury waren Predrag Azdejković (International Queer Film Festival Merlinka), Yvonne P. Behrens (Portland Queer Film Festival), Nick Deocampo (Quezon City International Pink Film Festival), Bradley Fortuin (Batho Ba Lorato Film Festival), Muffin Hix (BFI Flare London LGBT Film Festival), Shana Myara (Vancoucer Queer Film Festival), Gustavo Scofano (Festival do Rio, the Rio de Janeiro International Film Festival), Mascha Nehls (Entzaubert Queer D.I.Y) und Diego Trerotola (LGBTIQ Film Festival Asterisco).

Bester Spielfilm: Nasty Baby (Sebastián Silva, USA 2014)

Inhalt: Der Wunsch nach einem Baby ist für den Künstler Freddy zur Obsession geworden. Er umgibt sich mit Fotos aus seiner Kindheit, arbeitet fieberhaft an einem Kunstprojekt über Neugeborene und hat mit seinem Partner Mo ihre beste Freundin Polly dafür gewinnen können, ein Kind zu bekommen. Zahlreiche Zeugungsversuche verlaufen jedoch nicht so einfach wie gedacht. Auch die Umsetzung der geplanten Video-Installation gestaltet sich für Freddy kompliziert. Als auch noch der „Bischof“, ein geistig verwirrter Nachbar, die drei mit massiven Schikanen quält, gerät ihr unbeschwertes Dasein in eine gefährliche Schieflage. Eine Reihe überraschender Begebenheiten lassen die Frustrationen eskalieren und Freddy und seine Freunde das Gefühl für die Realität verlieren. Schonungslos und mit satirischer Schärfe entwirft Sebastián Silva das bitterböse Bild einer in vermessener Selbstbezogenheit lebenden Boheme. Der Regisseur selbst spielt Freddy und beleuchtet in ihm die Behäbigkeit, Verbissenheit, Ignoranz und Egomanie eines Gesellschaftskreises, der dabei ist, sich von seinen ursprünglichen Lebensentwürfen zu entfremden.

Urteil der Jury: Die Teddy-Jury vergibt den Preis für den besten Spielfilm an Nasty Baby von Sebastián Silva. Die Jury möchte die mutige Absicht des Filmes hervorheben, eine dringende moralische Frage darzustellen. Regisseur Sebastián Silva portraitiert die Lebensweise der künstlerischen schwulen Mittelklasse und wie sie auf die Realitäten von Klasse, Rasse und Gentrifizierung prallt. Was als Film beginnt über den Kindeswunsch eines schwulen Pärchens und deren bester Freundin, verwandelt sich in eine grauenhafte Situation, die die Kluften innerhalb des LGBT-Spektrums und der Gesellschaft symbolisiert. Es ist ein provokanter Film, der auf einfühlsame Weise den Queer American Dream portraitiert und uns alle dazu einlädt, weiter zu träumen.

Bester Dokumentar/Essayfilm: El Hombre Nuevo (Aldo Garay, Uruguay/Chile 2015)

Inhalt: Schon als zwölfjähriger Junge kämpfte Roberto als Anhänger der Sandinistischen Revolution in Nicaragua für Bildung und soziale Reformen. Seinen politischen Kampf setzte er an der Seite der kommunistischen Tupamaros in Uruguay fort. Dreißig Jahre später kämpft er dafür, als Stephanía, als Frau, leben zu können und ringt um die Anerkennung durch Gesellschaft und Familie. Der Dokumentarfilmer Aldo Garay begleitet Stephanía seit mehr als zwanzig Jahren und präsentiert mit El Hombre Nuevo das persönliche und liebevolle Porträt einer Frau, die auf ein bewegtes Leben zwischen Gewalt, Drogen, Prostitution und politischem Einsatz zurückblicken kann. Szenen aus ihrem Alltag werden mit Interviewaufnahmen unterschnitten, darunter auch Gespräche mit alten Bekannten, Weggefährten und Geschwistern sowie eine sehr leidenschaftliche Unterhaltung mit ihrer Mutter. So entsteht ein gleichermaßen vielschichtiges und intimes Bild der Gesellschaft zur Zeit der politischen Umbrüche in den Siebzigerjahren bis heute.

Urteil der Jury: Der Preis würdigt den 20-jährigen Kampf der Trans-Community in Uruguay anhand der Geschichte einer Transfrau, die nicht als Opfer dargestellt wird und die sich trotz ihrer Umstände weigert, sich an den Rand der Gesellschaft drängen zu lassen. Der Film zeigt die Spannung zwischen Religion und Gender und sexueller Identität in Lateinamerika auf eine Weise, die sowohl intim als auch kraftvoll ist. Und der Film porträtiert die Geschichte einer erstaunlichen Aktivistin, Lehrerin, Revolutionärin, Schwester und Tochter, die so sehr ihrer Zeit entstammt und dieser zugleich doch voraus ist.

Video: (Direktlink)
Trailer zur Doku „El hombre nuevo“

Bester Kurzfilm: San Cristóbal (Omar Zúñiga Hidalgo, Chile 2015)

Inhalt: Lucas und Antonio. Zwei junge Männer, die sich in einem abgelegenen Fischerdorf im Süden Chiles kennen und lieben lernen. Der eine lebt dort, der andere ist auf Besuch. Sinnlichkeit bestimmt die Geschwindigkeit der Erzählung und das Leben der beiden in den nächsten Tagen: Spiegel sein im anderen. Sich erkennen. Sich zulassen. Als das Dorf gegen die Liebe der beiden Männer rebelliert, markiert die Erfahrung dieser Begrenzung einen größeren Schritt im Erwachsensein von Lucas und Antonio. Eine einfache Geschichte von Liebe und Hingabe, inszeniert im Stil des Cinéma direct. Ein nicht so einfaches Setting im tiefsten Süden von Chile, wo alles, was aus dem vermeintlich Normalen ausbricht, sofort vernichtet, betraft werden muss. Die Figuren wissen um die Begrenzung im Dörflichen. Die romantische Idee, Widerstand zu leisten, währt nur kurz, wichtiger ist das Leben und die gefundene Liebe. Weitergehen. Über sich hinausgehen.

Urteil der Jury: Als besten Kurzfilm zeichnet die Teddy-Jury „San Cristobal“ von Omar Zúñiga Hidalgo aus, den wir als perfekt in seiner Regie und seinem Schauspiel erachten. Hidalgo zeichnet ein bewegendes Portrait zweier Männer in einem Fischerdorf im Norden Chiles, deren Leben bedroht ist, nachdem ihr Verhältnis entdeckt wird. Der Film lotet die Grenzen von „queer happiness“ in einer solchen Umgebung aus. Geschickt baut der Film auf Schichten von Sinn und Hoffnung, um das Versprechen einer sicheren Reise des heiligen Christophorus.

Jury Award: Stories of Our Lives (Jim Chuchu, Kenia 2014)

Inhalt: Mehrere Monate zogen Mitglieder des multidisziplinären Kunst-Kollektives NEST durch Kenia und sammelten Geschichten von jungen LGBTI-Menschen, von ihren Erfahrungen und ihrem Alltag in dem noch sehr homophob geprägten Land. Aus unzähligen anonymen Interviews entwickelten sie fünf Drehbücher für Kurzfilme, die einen Überblick über die gegenwärtige Situation und die Probleme der sexuell marginalisierten Jugendlichen liefern. In kurzen, schnörkellosen Szenen, klaren, poetischen Schwarz-Weiß-Bildern und ruhigen Tönen inszenierte Jim Chuchu die Episoden, die so unterschiedliche Themen wie Selbstfindung und Selbstbestimmung, Zwangsheterosexualisierung und Akzeptanz behandeln, eines jedoch gemeinsam haben: Alle erzählen vom Verlangen nach Liebe und der Angst davor, diese öffentlich zu leben. Eine Angst, die immer wieder zu der Frage führt, ob es besser ist, sich zu verstecken, zu resignieren und das Land zu verlassen oder zu bleiben und offen für sexuelle Vielfalt zu kämpfen. Trotz des Verbots, ihren Film in Kenia öffentlich zu zeigen, haben sich die NEST-Mitglieder für Letzteres entschieden und führen den Kampf um Anerkennung weiter.

Urteil der Jury: Der Film porträtiert große Stärke und Widerstandskraft im Angesicht widriger Umstände und zeigt lebensnotwendige Hoffnung für die LGBTIQ-Community. Er wirft Licht auf Homophobie und zielt darauf ab, das Stigma und die Diskriminierung zu zerschlagen, die noch stets bestehen, vor allem in Ländern, in denen Homosexualität ein Verbrechen ist und Individuen unserer Community für ihre Liebe mit Gewalt bedroht werden. Dies ist mutiges und schönes Filmschaffen, basierend auf wahren Geschichten, die unweigerlich jeden von uns berühren.

David Kato Vision & Voice Award: Martha Tholanah

Urteil der Jury: Der David Kato Vision & Voice Award (DKVVA) ist stolz zu verkünden, dass der Award 2015 an die HIV-positive Aktivistin Martha Tholanah aus Simbabwe geht. Martha riskiert jeden Tag ihr Leben, um lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und intersexuelle Menschen in ihrem Land zu unterstützen. Ihr Engagement ist ein starkes Beispiel einer heterosexuellen Verbündeten, die trotz Bedrohungen ihrer persönlichen Sicherheit solidarisch mit LGBTI ist.

Special Teddy Award: Udo Kier

Urteil der Jury: Der Special Teddy Award für die künstlerische Lebensleistung geht 2015 an den Schauspieler Udo Kier. Bei Rainer Werner Fassbinder lernte Udo Kier das Kinohandwerk und wurde die internationale Kraft, die aus dem Fassbinder-Clan hervorging. Seit fünf Jahrzehnten pendelt er zwischen Trash, Pop, Filmkunst und zwei Kontinenten. Er arbeitete mit Warhol, von Trier, Schlingensief und Madonna, er hat Blockbuster und Edeltrash gemacht und dabei Maßstäbe für nicht stereotype Männerrollen gesetzt.

Video: (Direktlink)
Teddy-Interview mit Udo Kier
Links zum Thema:
» Homepage des Teddy Award

 

(Quelle: queer.de; 14.05.15)

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