Homosexualität ist in Tschetschenien gesellschaftlich tabuisiert, Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung müssen mit Gewalt durch ihr soziales Umfeld wie auch durch staatliche Stellen rechnen. Nach dem lokalen Recht sind homosexuelle Handlungen in Tschetschenien strafbar. Im März 2017 hat die Verfolgung deutlich zugenommen und es kam zu einer Verhaftungswelle, Folter und Todesfällen sowie in Reaktion darauf zu internationalem Protest gegen diese Ereignisse.
Rechtlicher Status
In Tschetschenien als Teil der Russischen Föderation gelten zunächst die gesetzlichen Regelungen zu Homosexualität in Russland, insbesondere die Strafbarkeit von sogenannter „Homo-Propaganda“ – positiver Darstellung von oder Äußerung über Homosexualität in der Öffentlichkeit beziehungsweise in Anwesenheit Minderjähriger.
Historisch hatte die Region die rechtliche Entwicklung seit der Eroberung durch Russland im 19. Jahrhundert nachvollzogen: Wurde Homosexualität mit der Eingliederung in das Russische Reich illegal, wurde die Strafbarkeit dann in der Sowjetunion zunächst aufgehoben, dann unter Josef Stalin wieder eingeführt. 1993 wurde die Strafbarkeit dann in ganz Russland wieder aufgehoben. Während der nicht-anerkannten Unabhängigkeit der Tschetschenischen Republik Itschkerien führte Präsident Aslan Maschadow 1996 Scharia-Recht ein. Für Analverkehr – zwischen zwei Männern oder einem Mann und einer Frau – sah dieses als Strafe Stockschläge bei den ersten beiden Vergehen und Hinrichtung beim Dritten vor.[1] Nach der Rückeroberung durch Russland im Zweiten Tschetschenienkrieg wurde die russische Rechtsordnung wieder hergestellt, es blieb jedoch eine weitreichende Autonomie unter Präsident Achmat Kadyrow und seinem Sohn und Nachfolger Ramsan Kadyrow. Die Rechtsordnung blieb an einer strengen Auslegung des Islam ausgerichtet, um dem politischen Islamismus der separatistischen Bewegung entgegenzukommen und diese zu schwächen.[2][3]
Gesellschaftliche Situation
Homosexualität ist in Tschetschenien gesellschaftlich tabuisiert und wird als Abnormalität verstanden,[4] was durch eine verbreitete strenge Auslegung des Islams gestützt wird.[2] Die Betroffenen haben Gewalt auch aus der eigenen Familie zu erwarten, da ihre Orientierung als Schande für sich ganze Familie verstanden wird. So kommt es auch zu sogenannten Ehrenmorden an Homosexuellen.[5] Die Männer haben eine Frau und Kinder und halten ihre sexuelle Orientierung geheim.[4]
Es existiert keine Organiation oder Gemeinschaft homosexueller Menschen in Tschetschenien. Lediglich kleine Gruppen kommunizieren im Geheimen oder über soziale Netzwerke miteinander.[4]
Staatliche Verfolgung Homosexueller
Unter Präsident Ramsan Kadyrow sind Homosexuelle Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt. Regelmäßig werden Männer entführt, geschlagen und mit ihrer sexuellen Orientierung erpresst. Dabei wird Geld oder die Preisgabe eines weiteren möglichen Opfers verlangt.[6]
Ende März und April 2017 nahm die Verfolgung Homosexueller durch den tscherkessischen Staat stark zu: Über 100 Männer wurden in kurzer Zeit verhaftet und in zwei Gefängnisse gebracht. Bei den Festnahmen und in der Haft starben mindestens drei der Männer. Unter den Festgenommenen sind auch religiöse Würdenträger und zwei bekannte Fernsehmoderatoren.[7] Die homosexuellen Männer im Alter zwischen 16 und 50 Jahren sollen über soziale Netzwerke oder über die Erpressung von Daten Einzelner aus Bekanntenkreisen ermittelt worden sein. Jedoch sollen auch heterosexuelle Männer unter dem Vorwurf der Homosexualität festgenommen worden sein.[4] In den Gefängnissen, meist wird eine Einrichtung nahe der Stadt Argun genannt sowie das Dorf Tsotsi-Yurt, sollen die Festgenommenen schwerer körperlicher und psychischer Folter ausgesetzt sein. So sollen sie Elektroschocks ausgesetzt oder zu Tode geschlagen worden sein. Dabei wurden auch Kontaktdaten zu weiteren mutmaßlichen Homosexuellen erpresst oder aus den mitgeführten Handys entnommen. Die so identifizierten Bekannten wurden dann ebenso verschleppt, da angenommen wird diese hätten die gleiche sexuelle Orientierung.[2][3][8]
Einige der Festgenommenen wurden wieder freigelassen oder schwer verletzt ihren Familien übergeben. Dabei sollen die Sicherheitsbehörden die Familie dazu aufgefordert haben, den Übergebenen zu töten. Andere Familien mussten Lösegeld zahlen. Noch nicht verhaftete Homosexuelle haben aus Angst vor Verhaftung ihre Daten in sozialen Netzwerken gelöscht und sind aus dem Land geflohen.[7][2] Ab dem 3. April leistete das Russian LGBT-Network den Betroffenen Hilfe bei der Flucht, fünf sollen bereits in den ersten Tages dieses Programms geflohen sein.[9] Bis Mitte April sollen Dutzende Betroffene den Kontakt zu Hilfsorganisationen aufgenommen haben, um aus der Region zu fliehen. Ein Fluchthelfer in Russland schätzt, dass mehrere Hundert Männer betroffen sind.[6]
Nachdem einige der Festgenommenen fliehen konnten, berichtete zuerst die Novaya Gazeta über die Verfolgungswelle und berief sich auf die Zeugenaussagen der Geflohen. Auf die Berichterstattung über die Verhaftungen und die internationale Kritik an den Ereignissen reagierte die tschetschenische Regierung am 2. April 2017 mit der Behauptung, dass die Berichte alle falsch wären und es in Tschetschenien gar keine Homosexuellen gäbe, die verfolgt werden könnten. Sollte es „solche Leute“ doch geben, so würden „ihre Verwandten sie selbst an einen Ort schicken, von dem sie nicht zurückkehren“.[7] Andere Vertreter des Staates sagten, Homosexualität sei schlimmer als Krieg und Homosexuelle müssten neutralisiert werden.[4] Die Berichte seien Teil einer Verleumdungskampagne gegen Tschetschenien. Auch die höchsten Imame des Landes kritisierten die Berichte eine Lüge.[10] In der Zeit darauf wurde von tschetschenischen Politikern und Theologen zu Gewalt gegen die Journalisten der Novaya Gazeta aufgerufen.[11] Dmitry Peskov, Sprecher des russischen Präsidenten, erklärte einige Tage nach Bekanntwerden der Vorfälle, dass die Regierung nichts davon wisse und die Betroffenen sich an die lokalen Behörden wenden sollten.[6] Das Thema steht nicht auf der Agenda des Kreml.[12] Russische Behörden wiesen die Verantwortung den tschetschenischen Stellen zu.[3]
Als Ursache für die Verfolgungswelle wurde zunächst vermutet, dass in Russland für diese Zeit mehrere Gay Pride Parades angemeldet waren, denen der tschetschenische Staat zuvorkommen wollte. Jedoch war keine solche Demonstration direkt in Tschetschenien geplant. In anderen russischen Teilrepubliken der Region löste die Anmeldung der bald darauf verbotenen Paraden homophobe Gegendemonstrationen aus.[4][2]
Internationale Reaktionen
Nachdem erste Berichte über die Verfolgungen Ende März veröffentlicht wurden, gab Human Rights Watch am 4. April 2017 eine Stellungnahme heraus, in der die russischen Behörden zum Eingreifen aufgefordert werden.[13] Am gleichen Tag berichtete Amnesty International über die Ereignisse und rief in einer Urgent Action dazu auf, bei russischen Behörden zu protestieren und zum Handeln gegen die Verfolgung aufzufordern.[14]
Für das deutsche Auswärtige Amt zeigte sich am 7. April Gernot Erler als Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland besorgt über die Berichte über die Ereignisse in Tschetschenien und rief die russischen Behörden auf, sich von homophoben Aussagen zu distanzieren, die Verfolgungen zu beenden sowie die Täter zu verfolgen und erinnerte an die internationalen Verpflichtungen Russlands.[15] Eine ähnliche Stellungnahme veröffentlichte das Französische Außenministerium am 12. April.[16] Am 13. April 2017 veröffentlichte der UN-Menschenrechtsrat eine Stellungnahme, in der er die Vorfälle in Tschetschenien verurteilt und die russischen wie die lokalen Behörden auffordert, die Verhaftung und Folter sofort zu beenden, die Festgenommenen freizulassen, die Ereignisse zu untersuchen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Opfer zu entschädigen. Außerdem werden die homophoben Äußerungen der Regierungsstellen verurteilt und diese zur Distanzierung von solchen Stellungnahmen aufgefordert, die Gewalt gegen Menschen wegen deren sexueller Orientierung befördert oder dazu aufruft.[17] Am gleichen Tag erfolgte ein ähnlicher Aufruf durch das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE.[18]
Weblinks
- Ausführlicher Bericht der Novaya Gazeta (russisch)
- Interview bei Radio Svoboda/Radio Free Europe (russisch)
- Radio Svoboda/Radio Free Europe über Verfolgungen seit Dezember 2016 (russisch)
Quelle und ggfs. zwischenzeitlich aktualisierte Version: wikipedia.de