Debatte Schwulenhass unter Linken: Ich hab nichts gegen Schwule, aber…

Debatte Schwulenhass unter Linken:   Ich hab nichts gegen Schwule, aber…

Ein anregender Kommentar von taz-Redakteur Jan Feddersen zu einem neu erschienenen Buch von Johannes Kram

Eines der spannendsten Bücher der Saison ist eine Polemik. Verfasst hat sie der Autor und Kulturmanager Johannes Kram, sie trägt den Titel „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“ und unterstreicht den Satz mit dem nicht minder ironisch gehaltenen Satz „Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft“. Es geht bei der Lektüre um die Neigung von Comedians wie Dieter Nuhr und anderen, auf Kosten schwuler Männer Scherze zu machen – weil über Schwuchteln zu lachen, das wird doch noch erlaubt sein.

Die gut 190 Seiten kümmern indes sich so gut wie gar nicht um das Erwartbare, um das, was ohnehin beinah kalauernde Wahrheit ist: dass Konservative und Reaktionäre immer schon etwas gegen die Emanzipation von Homosexuellen hatten, dass sie so gut wie alles dafür taten, meist in ­Allianz mit den christlichen Kirchen und bei Desinteresse von Gewerkschaften, das Leben von ­Lesben, Schwulen, Trans*- und Inter*menschen gedemütigt, minderwertig, entwertet und falsch zu halten. Eben gerade so geduldet, dies vor allem.

Allein: Woran liegt es, dass das australische Parlament nach einem bejahenden Plebiszit die Einführung der Ehe für alle feiert, dass ein Politiker wie Justin Trudeau in Kanada die Entdiskriminierung von LGBTI*-Gesetzesgeflechten feiert und nicht nur en passant begrüßt? Womit hat es zu tun, dass in Frankreich die Sozialisten gegen alle reaktionären Widerstände die „Marriage pour tous“ durchsetzen und sie als wichtigstes Verdienst ihrer ­Regierung feiern? Dass in Spanien, viele Jahre zuvor, schon anfangs der nuller Jahre, die Linke in Spanien gegen den katholischen Klerus und seine ­Parteien die Ehe für alle durchgesetzt hat?

Mit der Verdruckstheit der Linken, gleich ob alternativ, sozialdemokratisch oder postrealsozialistisch gesinnt. Die Linken sind es, die immer mehr Unlust denn Leidenschaft hatten, sich der bürgerrechtlichen Gleichstellung von LGBTI*-Menschen nicht nur nebenbei, sondern von Herzen zu widmen.

Martin Schulz‘ Guerillaaktion im vorigen Sommer, als er in einem parlamentarischen Eilakt die Ehe für alle auch gegen Kanzlerin Angela Merkel durchsetzte – die dies kühl geschehen ließ –, war nur die Ausnahme: Auf die Linke schlechthin war in Deutschland nie Verlass, wenn es um die bürgerrechtliche Gleichstellung Homosexueller (und anderer Menschen, die der „Naturhaftigkeit“ des Heterosexuellen sich nicht fügen wollten) ging.
„Outing“ ist ein toxisches Wort

Dabei geht es nur noch darum: dass Schwules und Lesbisches und Trans* Normalitäten sind. Es sind heterosexuelle Menschen gewesen, die sich am stärksten vor beinah 20 Jahren über das Outing Hape Kerkelings und Alfred Bioleks durch Rosa von Praunheim aufregten – das könne ihnen in einer giftigen Umwelt schaden.

In Wahrheit rang der legendäre Filmemacher nur darum, seine Wut darüber loszuwerden, dass die heteronormative (in der Regel ja linke) Kultur- und Medienwelt der Bundesrepublik Schwules gern beschweigt – angeblich, um homosexuelle Menschen zu schützen, tatsächlich jedoch, um das heterosexuelle Rede- und Benennungsmonopol nicht brechen zu lassen.

Outing – das ist inzwischen ein toxisches Wort: Das tut man ja nicht. Warum aber spricht man nicht drüber? Und dokumentiert über das Sprechen zum „Anderen“, dass es eben anderes gibt?

Schwules, dies besonders, gilt als weniger ­wertig. In den sozialistischen und kommunistischen Zirkeln der Zeit nach ’68 galten ihre Anliegen als Nebenwidersprüche. Homosexuelles sei, so weit ging die Verachtung, mit der Revolution absterbend, ein Dekadenzphänomen des Kapitalismus.

Wie gut, dass es die kapitalistisch-liberale Bundesrepublik gab – in ihr ließen sich solche Phantasmen nicht realisieren, die Schwulen­bewegung musste diese linken Schlacken nur abwerfen, das war schwer genug. Anfang der ­achtziger Jahre waren es Linke, eher DDR- und Classical-Antifa-orientierte, die sich über ein Gedenken an die Rosa-Winkel-Häftlinge in NS-Konzentrationslagern in Hamburg empörten. Ein Kranz in der Gedenkstätte Neuengamme dürfe nicht liegen blieben, weil er die „warmen Brüder“ würdige und die anderen KZ-Opfer, die Politischen, entehre.
Kampf gegen das Sittengesetz

Oder ein Konflikt aus den fünfziger und sechziger Jahren, der bis in die heutigen Tage hineinspielt: Fritz Bauer, der legendäre Frankfurter Oberstaatsanwalt und Nazijäger, bekommt stets zuerkannt, er habe die Auschwitzprozesse lanciert, möglich gemacht und politisch gegen die alten Kameradien in den Justizapparaten durchgesetzt.

Es waren auch andere, die dabei mitwirkten, der rote Faden der Wut Fritz Bauers, als Jude im dänischen und schwedischen Exil, remigriert Ende der vierziger Jahre, war aber durch ein anderes Thema gefärbt, der Kampf gegen die Nazis in der Bundesrepublik war ein wenn auch lohnender Beifang: Der Schwabe kämpfte eisern seit den frühen fünfziger Jahren gegen das (vor allem durch das Adenauer-Regime etablierte, überwiegend christlich gesinnte) Sittengesetz, gegen die drakonischen Strafgesetze wider Homosexuelle etwa.

Akkurate Recherchen erbrachten, dass Fritz Bauer selbst ein schwuler Mann war, der freilich, schon aus Gründen des Selbstschutzes, auf jede sexuelle Liebesbeziehung verzichtete. Und was machen seine Freund*innen wie die Filmemacherin Ilona Ziok? Sind empört und giften, Bauers Homosexualität könne nicht bewiesen werden und versehre das Andenken an diesen heldenhaften Juristen.

Sie und ihre Freund*innen hätten sagen können: Oh, das wussten wir nicht, dass Bauer seine Liebesfähigkeit in der Bundesrepublik nicht frohen Herzens ausleben konnte – was für eine Tragödie! Für sie ist „Homosexualität“ ein Wort, das an Unehrenhaftigkeit, Unwertigkeit und Unsauberkeit gemahnt.

Man nehme dieses Beispiel als eines von vielen. In der Popularkultur äußerte bei der Vorstellung eines neuen Albums der Ton-Steine-Scherben-Sängers Rio Reiser gegenüber den Journalisten: Na, ihr könnt, wenn ihr über die Platte schreibt, gern erwähnen, dass ich schwul bin … Reiser, der Grandiose, musste erfahren: Was für ihn Normalität war, worüber hätte gesprochen werden dürfen, war den überwiegend linkslibertär gesinnten Medienleuten keine Zeile wert. Dabei war gerade das Schwulsein für Reiser ein tragender Pfeiler seines ästhetischen Empfindens, seines Werks und seiner Arbeit schlechthin. Wollte das die hetero­sexuelle Mehrheit zur Kenntnis nehmen? Lieber nicht.
Andere politisch-kulturelle Ziele sind wichtiger

„Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“, wie Johannes Kram so süffig wie treffend seine nun in Buchform gebündelten Kolumnen im Nollendorfblog betitelt: das ließe sich auch über das sozialarbeiterische Establishment, durch die Bank weltanschaulich links orientiert, hierzulande sagen, das in den vergangenen 15 Jahren jedes LGBTI*-Anliegen faktisch abbügelte.

Mahnten Institu­tionen wie die Berliner Antigewaltstelle Maneo, junge Trans*menschen, Lesben und Schwule fühlten sich in Einrichtungen für Jugendliche nicht wohl, weil heterosexuelle Jugendliche, oft mi­gran­tisch geprägte, ihnen das Leben bis zur Androhung körperlicher Gewalt schwer machten, bekamen sie zur Antwort: Nein, das können wir nicht thematisieren, das befördert doch nur Rassismus und die Rechten.

Auch in diesem Fall: Schwules (und Lesbisches etc.) muss auf angstfreie Entfaltung der eigenen Lebensmöglichkeiten warten, andere politisch-kulturelle Ziele sind wichtiger. Es ist deprimierend und fast trostlos, dass LGBTI*-Leute nicht gänzlich auf Solidarität von Linken verzichten müssen, aber sich dieser nicht wirklich sicher sein können.

Und dann diese Tonlage. Kommt eine öffentliche Figur mal umfänglich zu Wort, kann mal Auskunft geben über das, was sie bewegt, wird es schwerst sensibel. Das in der Tat exzellente Outing des Fußballers Thomas Hitzlsperger in der Zeitvor fast vier Jahren berichtet nur davon, dass er gegen ein früheres Going-Public nichts gehabt hätte, aber seine Berater, Trainer Joachim Löw und andere ihm davon abrieten, weil er sich nicht selbst schaden solle – als ob die Risiken Hitzlsperger nicht selbst hätte abwägen können –, war in einem Sound ­therapeutischster Einvernahme, fast einem Patienten gegenüber gehalten: Der Homo, das beschädigte und also unrobuste Wesen, dargereicht von Moritz Müller-Wirth und Carolin Emcke.
Deutschland ist ein heteronormatives Land

Wahr ist: Das linksliberale Establishment ist heterosexueller Art – es hat es nicht einmal fertiggebracht, etwa die Ehe für alle oder den Spruch des Bundesverfassungsgerichts zu einem Dritten Geschlecht, alles voriges Jahr, zum Debattenthema zu machen, ob im „Presseclub“ oder bei „Illner“.

Last, but not least, zum Thema dieses Mangels an politischer Sympathie – Mark Lilla, Professor für Ideengeschichte an der Columbia University. Der äußerte nach dem Wahlsieg Donald Trumps seine Verbitterung darüber, dass Hillary Clinton nicht hat gewinnen können, weil die Demokraten sich allzu sehr auf identity politics verlegt hätten, auf die Projekte von LGBTI*-Menschen und People of Color beispielsweise.

An dieser Kritik ist etwas dran – aber verstanden wurde sie, vor allem von Linken wie Slavoj Žižek, als starkes Indiz, dass sich Nichtkonservative allzu mächtig für Minderheitenanliegen eingesetzt hätten, nicht für die Angelegenheit der working class people. Als ob Frauen und Männer der Arbeiterklasse nicht auch ein Interesse an der Ehe für alle und anderem „Gedöns“ hätten.

Und überhaupt: Warum hat sich eigentlich das Wort „Homophobie“ so eingebürgert? Ist es nicht hübscher und belangärmer als „Schwulenhass“? Warum meidet inzwischen alle Welt das Wort „schwul“ – und nimmt lieber die lieblicher klingende, gleichwohl falsche Vokabel „queer“? Es wird Zeit, dass sich die deutsche Linke mal überlegt, weshalb sie en gros und en detail Homos zwar irgendwie okay fand, aber doch eher nicht so sehr wertschätzte. Deutschland ist, im Vergleich zu Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien oder Frankreich, ein heteronormatives Land.

LGBTI*-Fragen sind keine, die auf der politischen Resterampe liegen sollten. Sie gehen alle an. Ein kultureller Wandel steht an, er könnte allen guttun.

 

Quelle: taz.de (02.04.18)

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